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Guck, denen geht es viel schlechter als dir

Zum Thema Armut fällt Kirchenmännern und Bundespräsidenten in diesem Jahr vor allem Dankbarkeitsrhetorik ein: Schlecht geht es nur denen, die auf der Straße leben oder verhungern. Deshalb sollen sich Hartz-IV-Betroffene des Lebens freuen

VON ULRIKE HERRMANN

Weihnachten ist, wenn Bischöfe und Bundespräsidenten ihre Ansprachen halten. Diesmal kam niemand umhin, sich auch zum Thema Armut zu äußern. Schließlich stehen die Arbeitsmarktreformen „Hartz IV“ an – und der Armuts- und Reichtumsbericht ist noch ganz frisch, der eine wachsende Kluft zwischen den Gesellschaftsschichten konstatierte. Die diesjährigen Weihnachtsansprachen zeigen, dass ein neuer alter Begriff von Armut entsteht: Guck mal, dem geht es noch viel schlechter als dir.

Der katholische Kardinal Karl Lehmann forderte in seiner Weihnachtspredigt eine „neue Offensive für das Kind“. Es sei eine Schande, sagte der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, wie viele Kinder an den Grenzen der Armut oder darunter lebten. Einen Schuldigen für diese Notlage machte Lehmann auch aus: die Vermieter. Es sei grotesk, dass Familien mit Kindern oft Probleme hätten, eine Wohnung zu finden.

Nun ist Armut zunächst einmal materiell definiert, doch zur Sozialhilfe äußerte sich Lehmann nicht. Dabei kritisieren die Sozialverbände schon seit langem, dass die Regelsätze zu niedrig bemessen sind. Momentan leben eine Million Kinder von der Sozialhilfe, künftig werden es etwa 1,5 Millionen sein – weil ab Januar Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt werden.

Diese Arbeitsmarktreform namens „Hartz IV“ hat Lehmann jedoch immer begrüßt. In einer wegweisenden Rede vor der arbeitgebernahen „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ forderte der Kardinal bereits im Juni 2002 „mehr Eigenbeteiligung“ und warnte vor einem „überdehnten Wohlfahrtsstaat“. In der diesjährigen Weihnachtsausgabe der Süddeutschen Zeitung verteidigte Lehmann erneut die Reformen: Es sei unübersehbar, „dass unsere Sicherungssysteme zusammenbrechen, wenn wir weiter wirtschaften wie bisher“.

Lehmanns evangelischer Amtskollege Wolfgang Huber traut sich solche Aussagen ebenfalls. „Hartz IV als solches erhöht nicht die soziale Not“, sagte der Bischof gestern im Deutschlandfunk. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sorgt sich stattdessen um die Menschen, die „im Bereich der absoluten Armut leben“ – also um all jene, die nicht imstande seien, überhaupt Sozialhilfe zu beantragen und im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße lägen. Nach dieser Logik sind Sozialhilfeempfänger schon deswegen nicht arm, weil sie reicher als die absolut Ärmsten sind.

Armut erscheint nicht so sehr als eine Folge gesellschaftlicher Strukturen, sondern individuelles Schicksal, das individuell überwunden werden kann. In einem Gastkommentar für die Leipziger Volkszeitung fordert Huber die Deutschen auf, mehr Mut zum Leben zu zeigen. Ängste wegen der Arbeitsmarktreformen dürften nicht das Leben bestimmen. „Das Weihnachtsevangelium scheint gerade für dieses Jahr wie gemacht. Es enthält die Kraft, vor den Widrigkeiten nicht zu kapitulieren.“ Er rät zur Lektüre der Weihnachtsgeschichte, denn „sie befreit uns von den Ketten der Karrieren und bewahrt uns vor dem Schlamassel des Alltags“.

Dankbarkeit statt Klagen – dieses Rezept empfiehlt auch Bundespräsident Horst Köhler in seiner Weihnachtsansprache. Kürzlich weilte er länger in Afrika und brachte von dort folgende Erkenntnisse mit: „Den meisten Menschen dort geht es wirklich schlecht. Viele hungern Tag für Tag. Besonders die Not der Kinder ist groß. Doch wissen Sie was? Mitten im Elend habe ich auch viel Kraft, Mut und Lebensfreude gespürt.“

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