piwik no script img

Archiv-Artikel

Rot-Grün raucht lieber heimlich

Offiziell tut die Regierung viel, um Jugendliche von Zigaretten abzuhalten, teilweise sogar erfolgreich. Doch Berlin klagt auch gegen ein EU-Verbot von Tabakwerbung

BERLIN taz ■ Die Tabakgier der Teenager ist gebremst. „Rauchen wird uncool“, meint Marion Caspers-Merk (SPD). Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung präsentierte gestern einen neuen Trend: Erstmals seit Beginn der Neunziger greifen weniger Teenager zur Zigarette. Der Imagewandel, die Tabaksteuer, Warnhinweise auf der Schachtel, Caspers-Merk weiß: „All dies verleidet Jugendlichen den Tabak.“

Jahrelang belegte die Statistik einen Siegeszug des Nikotins. Jugendliche rauchten immer früher ihre erste Kippe. Paffte 1993 etwa jeder fünfte der 12- bis 17-jährigen, waren es 2001 schon fast 30 Prozent. Jetzt rauchen noch 23 Prozent der Jugendlichen. Der Anteil starker Raucher ging gar von einem Drittel (1993) auf etwa ein Achtel zurück. „Unsere Maßnahmen sind erfolgreich“, findet daher Elisabeth Pott, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). „Wir sprechen die Jugendlichen gezielt an, gerade auch in der Schule.“ Denn Rauchen ist auch ein soziales Problem: Gymnasiasten qualmen viel seltener als Hauptschüler.

Für die aktuelle Studie hat die BZgA etwa 3.000 junge Menschen zwischen 12 und 25 Jahren befragt. Sie fand heraus: Der Trend zum Tabakverzicht findet nur im Westen statt. Im Osten aber sind Zigaretten nach wie vor sehr populär – auch unter den Kindern.

Die BZgA setzt nun verstärkt auf die Strategie, Rauchern ein schlechtes Image zu verpassen. „Nichtrauchen muss die soziale Norm werden“, sagt Pott. Ein neuer Spot, der seit diesem Monat im TV und in den Kinos läuft, soll vermitteln: Wer qualmt, ist der Loser. Zudem kann jeder Ausstiegswillige bei der Bundeszentrale kostenlos ein „Rauchfrei-Startpaket“ bestellen: Pfefferminzbonbons sollen die Tabakgier mindern, ein Knautschball die Hände beschäftigen.

So initiativ das Gesundheitsministerium im Kleinen ist – bei den großen Antitabakvorstößen zeigt die Bundesregierung bislang wenig Engagement. Im Gegenteil. Als einziges Land klagt Deutschland derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof gegen ein EU-weites Verbot der Tabakwerbung. Die EU-Kommission hatte das Totalverbot im Dezember 2002 beschlossen. Sie kann sich auf wissenschaftliche Studien berufen, die belegen: Nur wenn man in allen Medien Zigarettenwerbung untersagt – im Fernsehen ebenso wie in Zeitungen oder in Kinosälen – zeigt es eine deutliche Wirkung. Die Bundesregierung aber verficht eher die unternehmerischen Freiheit der Tabakindustrie. „Es ist schwierig, für ein legales Produkt ein Totalwerbeverbot zu erlassen“, argumentiert selbst Caspers-Merk. Doch es gibt Gegenstimmen. Der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach etwa hält ein Tabakwerbeverbot für „unbedingt nötig“. Kaum ein europäisches Land würde derart von einer rigorosen Ächtung der Tabakwerbung profitieren wie Deutschland. Die Regierung müsse „Güter abwägen“ – Wirtschaftsinteressen gegen die Gesundheit der Kinder. Lauterbach beruft sich auf die Statistik, die trotz aller der Teilerfolge besagt: Deutschland erringt Platz zwei in Europa – beim Anteil der Kinder, die Zigaretten paffen.

COSIMA SCHMITT