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Archiv-Artikel

Die Öko-Reifeprüfung

In Hamburg demonstriert man für und nicht gegen die neue Airbus-Startbahn. Das ist auch nicht weiter schlimm. Denn die Zeit der großen Umwelt-Krimis ist vorbei, die Ökos haben andere Sorgen

VON BERNHARD PÖTTER

Ausgerechnet Apfelbäume. Keine Buchen, keine Eichen, nein, Apfelbäume müssen für die Erweiterung der Startbahn am Hamburger Airbus-Werk gefällt werden. Ganz so, als gäbe es nicht das Diktum Martin Luthers: „Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Eine Mahnung des Reformators, auch im Angesicht größter Not nicht zu verzweifeln, sondern das Prinzip Hoffnung zu verfolgen. Woraus Hoimar von Ditfurth, einer der Vordenker der Öko-Bewegung in den achtziger Jahren einen Buchtitel machte: „So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen. Es ist so weit.“

Ist es so weit? Geht die Welt unter, wenn Airbus seine Startbahn verlängert? Natürlich nicht. Das Dorf Neuenfelde wird leiden, die Menschen werden mit mehr Lärm leben müssen, ihre Grundstücke werden an Wert verlieren. Aber der Konflikt ist kein Öko-Krieg. Anders als beim Mühlenberger Loch, das für die gleiche Startbahn zugeschüttet wurde (und ein einmaliges Süßwasserwatt mit seltenen Tieren und Pflanzen war), geht es hier um Weiden und 500 Meter Asphalt. Anders als bei der Startbahn West in Frankfurt am Beginn der achtziger Jahre demonstrierten die Massen nicht gegen, sondern für die Startbahn. Denn es geht ja auch nicht um einen internationalen Flughafen mit hunderten von Flügen am Tag, sondern um ein Werk mit Landebahn und einigen Dutzend Starts und Landungen.

Das Verfahren ist auch kein politischer Skandal. Überzeugt wurden die Anwohner durch sozialen Druck und viel Geld. Von dreckigen Tricks hat man nichts gehört. Es gab ein relativ sauberes Verfahren, es gab ein Oberverwaltungsgericht, das die Enteignung der Anwohner ablehnte. Und der A 380, der dort montiert werden soll, gilt als „vergleichsweise leise und vergleichsweise ökologisch“.

Alles in Butter also? Na ja. In der Tat ist der Konflikt um die Startbahn ein Zeichen dafür, wie sich die Zeiten in der Öko-Debatte geändert haben. Nicht jeder Bauplatz, der größer ist als ein Eigenheim, ruft sofort den Massenprotest auf den Plan. Die Umweltschützer schauen genauer hin und konzentrieren ihre Kräfte auf Themen wie Gentechnik oder Verkehrspolitik. Das ist richtig, weil in Deutschland nun mal zum Glück keine Atomkraftwerke mehr gebaut werden. Das ist aber auch fatal, weil das öffentliche Gegengewicht zu jener Stimmung fehlt, dass in der Krise alles machbar ist. Dass Umweltschutz Luxus ist.

Die Hamburger Airbus-Startbahn ist für diese Debatte der falsche Anlass. Und es ist ein Zeichen der Reife, dass die Umweltverbände das wissen. Aber richtige Anlässe gibt es zuhauf: Jede dritte Autobahnbaustelle, jeder überflüssige Kanal, jedes neue Kohlekraftwerk, jeder neue Massenviehstall ist ein guter Anlass, sich hinzustellen und zu sagen: „Diese Arbeitsplätze wollen wir nicht!“

Denn das Totschlagargument „Arbeitsplätze“ führt in jeder Beziehung in die Sackgasse. Erstens ist damit staatliches Handeln erpressbar geworden. Zweitens ignoriert es die ökologischen und vor allem ökonomischen Folgen: unsinnige und subventionierte Arbeitsplätze. Die Schäden, die ein Job in der Steinkohle oder in der konventionellen Landwirtschaft verursacht, müssen wir alle teuer bezahlen. Und das Geld, das in überflüssige Wasserstraßen fließt, fehlt bei Schulen, effizienten Energien oder innovativen Unternehmern, die die Jobs und die Steuern der Zukunft schaffen wollen.

Niemandem ist vorzuwerfen, dass er eine Arbeit annimmt, die nicht den Kriterien der Nachhaltigkeit entspricht. Schließlich haben nicht viele Menschen die Wahl, wie sie ihre Familien ernähren. Aber gerade die, die diese Wahl haben, sollten bei der Debatte um den Umweltschutz als vermeintlichen Jobkiller zweimal nachdenken.

Die deutsche Industrie ist im Maschinen- und Anlagenbau und in der Umwelttechnik auch deshalb weltweit führend, weil sie sich von den Umweltgruppen und vom Staat seit Jahrzehnten in die richtige Richtung hat drängen lassen. Und wer verneint, dass die Ökonomie eine Unterabteilung der Ökologie ist, der muss nur die Schadensprognosen der großen Rückversicherer für die nächsten Jahrzehnte lesen.

Was hat das mit der Startbahn zu tun? Eine ganze Menge. Denn der Protest ist auch deshalb so schwach, weil die Ökos die Dinge differenzierter sehen. Unter anderem sich selbst. Und weil sie wissen, dass es der Glaubwürdigkeit des grünen Milieus nicht gut tut, gegen den Flugverkehr und Flugzeugwerke zu demonstrieren – wenn es gleichzeitig die gesellschaftliche Gruppe darstellt, die am häufigsten und am weitesten fliegt.