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Archiv-Artikel

KIRSTEN FUCHS über KLEIDER In guten wie in schlechten Zeiten

Hosen und Beziehungen teilen ein schlimmes Schicksal, denn beide gehen mit der Zeit an Veränderungen kaputt

Wer einmal sein Herz an ein Kleidungsstück gehängt hat, weiß, dass Liebe nicht ewig hält. Selbst in Zeiten von Waschmitteln, die lang und breit und hoch und heilig versprechen, mit nicht mehr real existierendem Pionierehrenwort, in guten und in schlechten Zeiten Farbe und Form zu pflegen, verschleißt ein jedes geliebtes Textil irgendwann. Wahrscheinlich gerade weil das Kleidungsstück sehr geliebt ward und darum auch oft getragen. Jeder Stoff will irgendwann einfach nicht mehr, wie es so schön heißt: Das Material wird müde.

Meine Freundin Babette berichtete mir letztens von ihrer absoluten Lieblingslieblingshose. Die Geschichte spielte in der DDR. In diesem Land tauchte manchmal ganz kurz bevor es zu einem Volksbegehren gekommen wäre eine Wagenladung Jeans auf, und eine davon wurde von Babettes Mutter ergattert.

Von diesen Umständen abgesehen erzählte Babette die übliche Geschichte: Mädchen liebt Hose, Hose liebt Mädchen, aber Mädchen entwickelt sich weiter, Hose geht daran kaputt. Es ist schwer, sich in der Pubertät zu binden, denn es geschehen jeden Tag große Veränderungen. Babette wuchs damals ein wundervoller Hintern, und keine ihrer Hosen zeigte ihr neues Prachtstück dermaßen vorteilhaft wie diese Jeans, die an den Seitennähten jeweils ein Lederstreifen schmückte. Leder sei ja fast etwas Erwachsenes, Anrüchiges gewesen, so Babette. Und Jeans ja sowieso, sexy bis zum Umfallen.

Umfallen konnte Babette in der Hose nicht, weil sie sehr eng war. Sie konnte sich nur vorsichtig bewegen. Die Jungs in Babettes Klasse liefen hinter Babette her, aber nie neben ihr, weil sie dann ihren Arsch nicht sehen konnten. Leider war die Hose eines Tages Babettes Wachstum nicht mehr gewachsen. Sie gab an der Hinternaht auf, Gott sei Dank nicht in der Schule.

Dann hätten alle sehen können, dass die schon fast erwachsene, schon fast anrüchige Babette drunter noch Schlüpfer mit kleinen Mäusen, die an Erdbeeren knabbern, trug. Die Hose gab auf, als sich Babette wie jeden Tag nach dem Wohnungsschlüssel bückte, der unter dem Schuhabtreter lag. Das haben viele Familien in der DDR so gemacht, wahrscheinlich, damit die Stasi nicht das Wohnungstürschloss beschädigen musste.

Darum ging an der Stasi nicht nur das ganze Land kaputt, sondern auch Babettes Hose. Babette bat ihre Mutter, die absolute Lieblingslieblingshose zu nähen, dazu säuselte sie, dass die Mama doch die absolute Lieblingslieblingsmama sei.

So ging es mehrere Tage: Babette, der Star in der Schule, dann der Schlüssel unterm Schuhabtreter, dann das Geräusch … rrrrrtsch. „Bitte, bitte Mutti, noch einmal!“ Die Hose müsste nur noch so lange halten, bis sich Thorsten Thisius in Babette verknallt hätte, und dass knallenge Hose und Verknallen miteinander zu tun haben, war ja wohl klar. Thorsten Thisius war schüchtern. Er lief oft neben Babette und redete mit ihr, anstatt ihr wie die anderen Jungs auf den Hintern zu starren. Eines Tages riss die Hose so, dass sie nicht mehr genäht werden konnte. Damit endete Babettes Ära des perfekten Hinterns, Babettes Meinung nach.

Ihr Hintern wuchs immer weiter, bis er nicht fett war, aber ein normaler Frauenhintern, der nicht aussieht wie zwei runde Muskeln, sondern wie ein schwingendes Stück bewegtes Leben. Das hat Babette inzwischen auch hinter sich, nach der Ehe mit Thorsten Thisius, der sich damals traute, sie zu fragen, ob sie mit ihm gehen wolle, als er bemerkte, dass Babette auch normal gehen kann, wenn sie normale Hosen trägt. „Ich verlieb mich nie wieder!“, sagte Babette abschließend. „Scheiß Hosen! Scheiß Kerle! Irgendwann passen sie nicht mehr zu einem. Thorsten hat sich jetzt ’ne Lederjacke gekauft, so eine mit geflochtenen Schulterstücken, schrecklich. Er hat sich echt verändert.“

„Und du? Was hast du dir gekauft?“, fragte ich sie. „Eine knallenge Hose, in der ich jetzt so lange rumtippel, bis einer anbeißt.“

„Dann willst du dich ja doch wieder verlieben.“

„Ach na ja, die Hose war ganz billig. Schad ja nix!“

Fotohinweis: KIRSTEN FUCHS KLEIDER Fragen zu Nähten? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH