: „Er macht, was ich will“
Moraldiskussionen geil zu finden und stolz auf gute Erziehung zu sein – das erwartet man nicht gerade von einem Rapper. Bushido aber reicht es, als Kunstfigur die Albträume vom Bösen zu geben
INTERVIEW THOMAS WINKLER
taz: Das Album „Electro Ghetto“ ist auf Platz sechs in die Charts eingestiegen. Enttäuscht?
Bushido: Natürlich gibt es über der sechs noch fünf Plätze, die zu belegen wären, aber man muss a) das Umfeld angucken und die anderen, die da vertreten sind, Die Ärzte oder Toten Hosen, Rammstein, sind ja auch keine kleinen Leute, und b) muss man sich die reinen Verkaufszahlen angucken, und wenn man in einer Woche 19.000 CDs verkauft hat, dann ist das schon okay.
Wie ist Ihr Erfolg und der von Sido zu erklären?
Wir besetzen eine Rolle, die bislang nicht besetzt war. Die Leute wollen keine Rapper mit Rucksäcken und Skateboards mehr sehen. Vielleicht ist es auch die Lust am Verbotenen. 90 Prozent der Internet-User waren ja auch schon auf Schmuddelseiten, und keiner gibt es zu.
Reicht der HipHop zum Leben?
Der erste Testlauf ist gut gegangen. Spätestens bei meinem nächsten Solo-Album wird sich rausstellen, ob das weitergeht oder ob man arbeiten geht und Musik nur noch als Spaß macht.
Andere wären von diesem Erfolg besoffen.
Erfolg ist relativ. Für mich persönlich ist das ein Erfolg, aber die Charts sind vorgestern rausgekommen, und heute muss ich schon wieder sehen, dass ich das nächste Produkt rausbringe. Ich habe das Fundament gebaut, und jetzt muss ich darauf aufbauen. Es muss sich in zehn Jahren auszahlen, dass ich heute auf Platz sechs war. Die Zeit, in der ich von Luft und Liebe gelebt habe, ist vorbei. Das war mit 15, 16, aber da wusste ich auch noch nicht, dass ich meine Krankenkasse selber bezahlen muss. Ich bin 26, ich habe Miete zu zahlen, meine Mutter zu unterstützen, und das Finanzamt will auch noch was. Mein Anwalt hat am Telefon gefragt, warum ich so abgeklärt bin und ob wir nicht mal feiern wollen. Da habe ich gesagt: Feier du mal für mich und ich mach hier weiter.
Wie soll das Geld sonst reinkommen, wenn nicht mit Musik?
Gelernt habe ich Maler und Lackierer. Aber ganz ehrlich: Ich habe angefangen, meine neue Wohnung zu renovieren, und das hat mich dermaßen angekotzt, dass jetzt meine Kumpels für 2.000 Euro meine Wohnung streichen.
Was ich abseits der Musik machen würde, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber das muss ich vielleicht auch nicht: Wenn man 19.000 in der ersten Woche verkauft, kann man davon ausgehen, dass man ungefähr 50.000 insgesamt verkauft. Und wenn man tatsächlich mal so wenig verkauft, dass einen die Plattenfirma rauswirft, dann habe ich immer noch die Möglichkeit, allein ein Album aufzunehmen und independent 20.000 Stück zu verkaufen.
Und damit dann mehr zu verdienen als mit 50.000 bei der Industrie.
Eben.
Kommt man im deutschen Rap nicht mehr ohne rechtlichen Beistand aus?
Ich würde sagen, dass man nicht nur im deutschen Rap nicht mehr ohne Rechtsbeistand auskommt. Ich mach was für dich, du machst was für mich, diese Zeiten sind vorbei. Man hat gar keinen Freiraum mehr, nur mit seinem Gewissen Konflikte zu lösen oder Vereinbarungen zu treffen. Andererseits ist das aber auch korrekt, denn bei allen Geschäften, die ich ohne Anwalt gemacht habe, fanden sich dann immer irgendwelche Klauseln, von denen ich nichts wusste.
Sie haben fast ausschließlich Musik gemacht und nicht die klassische HipHop-Karriere durchlaufen, nach der man alle anderen Disziplinen wie Breakdance und Graffiti auch mal gemacht haben muss.
Früher hat mich das schon begeistert, aber mittlerweile habe ich kaum noch Kontakt dazu. Die könnten die Musik von mir aus auch Plastikschüssel nennen, dann wär ich halt ein Plastikschüssler. Mir ist es vollkommen egal, ob das nun Rap oder HipHop ist, ob da Graffiti oder Breakdancing oder DJing dazugehört – ich mache Musik.
Gibt es eine Kunstfigur Bushido, die mit provokativen Texten Platten verkauft, und einen Menschen Bushido, der ganz anders ist?
Meine Mutter hat mich gut erzogen: Man guckt sich in die Augen, gibt sich die Hand und zieht die Schuhe aus, wenn man in eine Wohnung kommt. Die Musik ist eine Facette, in der nur bestimmte Teile von mir auftauchen. Wenn ich zu Hause gerne „Legenden der Leidenschaft“ mit Brad Pitt gucke, hat das nichts in meiner Musik zu suchen.
Haben Sie Probleme mit der Diskrepanz zwischen der öffentlichen Figur und dem Privatmenschen?
Die Fans hören deine Musik, sehen dein Video und dann bist du für die jemand. Natürlich weiß ich, was Kokain kostet, und Freunde von mir sitzen im Knast, aber man wird halt darauf reduziert. Aber damit habe ich kein Problem, denn damit baue ich ja auch eine Barriere, eine Mauer: Es gibt den Rapper Bushido, der haufenweise Geld mit seiner Musik verdient und Groupies hat. Damit kann die Öffentlichkeit dann tun, was sie will: Die können sich damit identifizieren, die können das hinterfragen, die können versuchen, sich mit mir zu schlagen …
Ist das schon passiert?
Ja, klar, solche gibt es immer wieder. Aber dann kommt diese Grenze, und hinter dieser Grenze ist mein Privatleben, da hat keiner was zu suchen. Da ist kein Telefon, keiner vom Label, keine Fans und keine Medien. Da ist es schön ruhig, da bist du, wie du bist. Wenn du dann wieder Bock hast, der Musiker zu sein, dann begibst du dich wieder da rein: Telefonterror, irgendwelche Weiber, irgendwelche Idioten. Ich bin ja der Sohn von meiner Mama, aber diesen Rapper habe ich kreiert, der macht, was ich will. Wenn ich aber nur noch den ganzen Tag Bushido bin, wenn ich auch bei meiner Mama Bushido bin, dann wird das schizophren. Andere haben den Kontakt zur Realität längst verloren und rennen wie Torch immer noch mit Skimaske zur Echo-Verleihung. Die wissen nicht, dass sie eigentlich pleite sind, weil sie dem Finanzamt noch Steuern schulden, aber alles verprasst haben. Ich möchte immer noch der normale Junge sein, der zu seiner Mama zum Essen fahren kann …
… bei der Sie eigentlich noch wohnen.
Ja, ich wohne noch bei ihr, aber ich habe jetzt die Wohnung genau neben ihr gemietet. Da brauche ich auch keine Waschmaschine.
Mutti wäscht weiter?
Ja, klar.
Ein weiterer überraschender Aspekt an der Privatperson Bushido ist, dass sie sich regelmäßig Bundestagsdebatten auf Phoenix reinzieht. Wird sich das auch einmal in der Musik niederschlagen?
Wenn ich politisch bin, dann bin ich es nicht sehr beabsichtigt. Ich informiere mich, aber ich würde niemals behaupten, ich verstehe das alles, was ich da auf Phoenix sehe. Ich versteh ja selbst von meiner Steuererklärung nur die Hälfte. Und so ist es auch mit der Politik, so ist es mit Shopping-TV. Ich gucke mir das alles an – und was bei mir kleben bleibt, ist anscheinend für mich wichtig und ich kann darauf irgendwann mal zurückgreifen.
Politik ist wichtig, weil man nicht so tun kann, als hätte man damit nichts zu tun. Ich finde erschreckend, wie desinteressiert viele Leute sind, als würde es keinen Unterschied machen, ob Stoiber oder Schröder Bundeskanzler ist. Ich habe mein Abitur abgebrochen, weil ich vieles nicht lernen wollte. Aber ich habe die Freiheit, mir anzueignen, was mir persönlich wichtig ist. Ich habe mir jetzt die DVDs von „Alpha Centauri“ mit Dr. Harald Lesch gekauft, diese Wissenschaftssendung vom Bayerischen Rundfunk. Und die sehe ich mir an, auch wenn ich von Antimaterie natürlich nur die Hälfte verstehe. Von dem gibt es auch noch eine zweite Sendereihe „Alpha Omega“, in der er mit einem katholischen Theologen Begriffe wie Moral, Liebe, Zukunft, Gewissen diskutiert. Das ist so geil, ich gucke das jeden Abend.
Aufschwung für Deutschland durch Bildung?
Wenn ich im Café meine Wasserpfeife rauche, bin ich nicht der typische Deutsche. Aber ich habe einen deutschen Pass, eine deutsche Mama, einen deutschen Anwalt und einen deutschen Steuerberater. Du darfst dir auf keinen Fall einen ausländischen Steuerberater nehmen. Ich kann sogar stolz darauf sein, ein Deutscher zu sein.
Aber wenn ich ein richtiger Deutscher wäre, Rüdiger heißen und sagen würde, ich bin stolz, ein Deutscher zu sein, dann weißt du ja schon, wo das hinführt. Aber ich habe nichts damit zu tun. Ich nehme mir die Freiheit, damit zu spielen.
Ärgerst es Sie im Nachhinein, die Schule abgebrochen zu haben?
Nein. Theoretisch hätte ich vielleicht auch studieren können, aber dann wäre ich kein Rapper geworden, hätte keine CDs verkauft, ich würde keine Groupies bumsen, und ich hätte nicht so viel Geld, wie ich jetzt habe.
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