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Archiv-Artikel

„Orange ist die Farbe von Kinderdurchfall“

Russlands Medien funken und schreiben weiter konsequent einseitig gegen Juschtschenko. Der Kreml fürchtet selbst Massenproteste gegen seine „gelenkte Demokratie“

MOSKAU taz ■ Bürgermeister Juri Luschkow ist bekannt für deftige Worte. Wenn immer sich Gelegenheit bietet, ehemalige Gebiete des russischen Imperiums heim ins Reich zu holen, läuft Moskaus „Mer“ zu Höchstform auf. Verbal versteht sich. Auf einem Kongress der Janukowitsch-Anhänger in Severodonezk am Wochenende meinte Moskaus Patriarch, die Ostukrainer wären ohnehin besser gestellt, wenn sie in den russischen Staatsverband zurückkehrten.

Der russische TV-Sender NTW widmete seinem Auftritt gleich mehrere Minuten: „Wir sehen auf der einen Seite mitternächtliche Versammlungen von Hexen, die, von Orangen fett geworden, auch noch behaupten, sie würden die ganze Nation vertreten“, wütete Luschkow gegen die Anhänger der Opposition und deren orangefarbene Symbolik. Auf der anderen Seite, in den Repräsentanten der bedrohten Staatsmacht, gewahrte der Kreml-Emissär unterdessen „ die friedliche Macht konstruktiver Kräfte“.

Russlands Medien reagieren hysterisch auf die Ereignisse in Kiew. Gleb Pawlowsky, langjähriger Mythenproduzent des Kreml, den Moskau seinem Präsidentschaftskandidaten Janukowitsch als Wahlkampfberater zur Seite gestellt hatte, konnte in der NTW-Sendung „Orangensaft“ am Sonntag kaum noch an sich halten: Die ukrainische Revolution, so der ehemalige politische Strippenzieher, „trage die Farbe von Kinderdurchfall“. Den Präsidentschaftskandidaten der Opposition, Wiktor Juschtschenko, verglich Pawlowsky mit Adolf Hitler und Julia Timoschenko, die Frontfigur der Opposition, verunglimpfte er als „unverschämte Frau“. Sie wolle nur eins: Anstelle Wiktor Juschtschenkos die Macht selbst übernehmen.

Pawlowsky empfahl überdies, die Beziehungen Russlands zum Westen neu zu bestimmen. Dass der Protest in Kiew vom Westen gesteuert werde, der inzwischen zur Taktik einer „politischen Invasion“ übergegangen sei, davon ließ sich der hochrangige Berater nicht abbringen. Moskaus Intervention in der Ukraine schlug fehl. Der Misserfolg sendet indes eine traurige Gewissheit in Richtung Kreml. Wladimir Putins Traum, das sowjetische Imperium wieder zu errichten, hat sich zerschlagen. Ohne die Ukraine als Herzstück des Imperiums, das weiß der Kreml, lässt sich kein Staat machen. Statt das ehemalige Reich behutsam wirtschaftlich attraktiv zu gestalten und die Nachbarn langsam zu integrieren, bringt Wladimir Putin selbst wohlgesinnte Kräfte, wie die Abchasen in Georgien, durch hölzernes Imperialgehabe auf Distanz.

Überreaktion und Hysterie deuten daraufhin, dass im Kreml Unsicherheit herrscht. Könnte nicht auch das Putin’sche Konstrukt der „gelenkten Demokratie“ langfristig von Massenprotesten bedroht werden? Pawlowsky warnte den Kreml vor einer aus dem Westen „exportierten Revolution“. Ihr könne man nur begegnen, wenn man Vorbereitungen für eine „Konterrevolution“ träfe. Stabilität und Staatlichkeit waren Schlüsselworte in der russischen TV-Berichterstattung über die Ukraine.

KLAUS-HELGE DONATH