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Archiv-Artikel

Für alle Fälle Magerquark

Die 3 von der Wohngemeinschaft und der böse Mercedesfahrer: Hans Weingartners globalisierungskritische Digitalvideofabel „Die fetten Jahre sind vorbei“ probt den poetischen Widerstand – in Berliner Villen genauso wie auf der österreichischen Alm

VON DIETRICH KUHLBRODT

All denen, die da jammern und klagen in der Depristadt Berlin, und dass einem, traut man sich auf die Straße, in die Lunge gestochen wird, all denen wird geholfen sein, wenn sie „Die fetten Jahre sind vorbei“ gesehen haben. Der Film ersetzt in nur zwei Stunden ein halbes Dutzend Gruppentherapietermine, und das auf einigermaßen witzige Weise. Wer sich helfen lassen will, braucht nur die Lektionen zu befolgen, die ihm der Film erteilt, wobei es genauer gesagt darum geht, anderen eine Lektion zu erteilen: dem S-Klasse-Mercedesfahrer, den Superreichen, den Globalisierungsfreunden.

Die 3 von der Wohngemeinschaft brechen nachts in Luxusvillen ein, um die Dinge auf den Kopf zu stellen. Buchstäblich. Geklaut wird nicht. Aber alles, was mobil ist, wird unter Aufbietung künstlerischer Kreativität zu Installationen getürmt, wie sie im Künstlerhaus Bethanien nicht besser zustande kommen könnten. „Die fetten Jahre sind vorbei“, sprayen die Freunde Stipe Erceg und Daniel Brühl dazu auf die frisch renovierte weiße Wand. Und zeichnen als „die Erziehungsberechtigten“. Allein Julia Jentsch neigt ein klein bisschen zu Vandalismus und wirft die Designercouch in den Pool. Das macht Spaß und baut Frust ab, aber man muss wissen, wie’s richtig gemacht wird, und hierfür gibt’s den Film. Wichtig ist es, in der WG jemanden zu haben, der als Alarmanlageninstallateur gejobbt hat. Der weiß, wo die Konsole zu finden ist, um die Alarmauslösung zu deaktivieren. 30 Sekunden! Das gibt Spannung.

Total daneben wäre es, sich über den Jux zu mokieren, den sich die Mittzwanziger machen. Denn denen ist es ernst. Wenn man sich „dem System“ nicht anpassen will und auch nicht beim Palavern in der Kneipe Hoffnung schöpfen kann, dann bleibt nur, um irgendwas zu tun, irgendwas zu tun. Das geht, so lernen wir, unter Freunden. Die Dynamik kommt von selbst, und politischen Anweisungen zu folgen wäre kontraproduktiv.

Dynamisch wird es, als Herr Hardenberg, der S-Klasse-Mensch (Burghart Klaußner), leider niedergeschlagen werden muss. Einen Plan B gibt es nicht. Also wird er nach Tirol entführt – in eine Berghütte bei Achenkirch am Achensee (Koproduzent ist die österreichische Coop99). „Wie geht es uns im Volksgefängnis?“ Beim gemeinsamen Kiffen kommt man sich näher. Der fiese Topmanager hatte seinerzeit auch seine Ideale. War er doch 68 im Vorstand des SDS und Freund von Frau Dutschke. Aber ach: „Was du besitzt, besitzt eines Tages dich.“

Ja, das Drehbuch wird schön explizit, und die Berghüttendialoge missionieren eifrig für das, was Regisseur Hans Weingartner mit dem Film will. Eine richtige lecture wird das schließlich, das heißt, die Erziehungsberechtigten wenden sich jetzt an den Zuschauer, um ihn zu überzeugen. Wovon eigentlich? Vom Film? Das sowieso. „Die fetten Jahre …“ sind das, was im deutschen Spielfilm außer Mode gekommen ist: ein engagierter Film der guten alten Art, sagen wir: im 70er-Look. Und trotzdem oder deswegen überzeugt er. Weil man ihm glaubt, dass er was rüberbringen will und dass er dabei eins draufsetzt. Hinter der authentischen Eifrigkeit steht jemand, der was will und dem man zuhört: der Regisseur mit seinen Protagonisten. Anders kann ich mir den Erfolg des Films – er lief im Wettbewerb in Cannes – nicht erklären. Doch, doch, den Bildern, die die digitale Videokamera liefert, lässt sich platterdings nicht widersprechen. Sie haben dokumentarischen Anspruch: So ist es, so sind die Fakten. Licht wurde nicht gesetzt. Den Schauspielern folgt die Kamera – und nicht, wie sonst beim Spielfilm, umgekehrt. Schöpferischer Akt ist die Postproduktion: das Kondensieren der 80 Stunden Material auf 120 Minuten.

Okay, das hat geklappt. Aber was ist es außer dem Film selbst, was Weingartner sagen will? Beantwortet er eine der Fragen, die seine Zuschauer auf den Lippen haben? Antwort: keine. Mit den 68ern ist es nichts. Die 04er haben nichts. Keine Antwort. Und das ist eine. Nämlich dass man sich selbst kümmern muss. Ein „System“, welches auch immer, hilft dabei nicht. So oder ähnlich ist des Films manifeste Botschaft. Wir kennen das von Weingartners Debütfilm „Das weiße Rauschen“ (2001). Der schizophrene Patient (Daniel Brühl) entzieht sich dem System der medikamentösen Versorgung, schmeißt die Tabletten ins Klo und erfreut sich seiner selbst gewonnenen Freiheit auf einer Klippe am Meer. Weingartner weiß, was ein Vorbild ist. Ist er doch diplomierter Gehirnforscher und Neurochirurg (FU Berlin, Klinikum Steglitz).

„Vielleicht haben wir Nachahmungstäter?“, fragen sich die 3 vorbildlichen Freunde in Tirol. Das kommt witzig. Wieder gibt es Lacher. Und doch ist es ernst gemeint. Denn was es an übergreifender Jugendbewegung gibt, ist abgehakt. Flugblätter verteilen, auf Demos mitlaufen und was mit dem Gummiknüppel bekommen – das ist die Anfangssequenz des Films – bringt es nicht. Angesagt ist zusammenzubleiben, sich vom System der kleinbürgerlichen Moral (Eifersucht!) nicht auseinander dividieren zu lassen, beweglich zu sein, unangepasst, frei in der Gruppe, freudig zu warten auf das, was dereinst zum Vorschein kommen will und was kommen wird (Ernst Bloch fragen), die Zwischenzeit kreativ zu nutzen. „Poetischer Widerstand“ nennt das Weingartner, der verspätete Punker und Hausbesetzer, politisch ehrlich naiv. Aber ich verstehe, darum geht’s nicht. Wir sollen gemeinschaftlich Kräfte sammeln, um auf alle Fälle für alle Fälle fit zu sein. Deswegen gibt’s jetzt nach all dem Fetten Magerquark.