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„Die private Revolte ist nie privat“

Der Regisseur Hans Weingartner hofft auf eine junge Generation, die wieder Lust hat zu kämpfen. Mit seinem neuen Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ will er selbst einen Anfang machen. Ein Gespräch über das Gefühl von Wut, poetischen Widerstand und einen vereinnahmenden Kapitalismus

INTERVIEW DIETMAR KAMMERER

taz: Herr Weingartner, ein Rezensent nannte Ihren Film eine „Antiglobalisierungskomödie“. Sind Sie glücklich über solch ein Label?

Hans Weingartner: Labels sind halt Labels. Journalisten müssen sich leider immer sehr kurz ausdrücken. Es ist natürlich keine Komödie. Es hat mit Antiglobalisierung zu tun, weil ich die Ziele dieser Bewegung gut finde und auch, dass Attac sich nicht vereinnahmen lässt. Dass sie eben keine Partei gründen, wie es die Grünen getan haben. Die verleihen einem System einen grünen Anstrich, das ihn nicht verdient hat. Attac hat daraus gelernt und bleibt in der Opposition. Das finde ich den richtigen Weg.

Aber Attac kritisiert ein „System“, während Ihre Hauptfiguren einen privaten Feldzug gegen die Wohlhabenden führen. Läuft das nicht auf Sozialneid hinaus?

„Sozialneid“ ist ein Kampfbegriff der Rechten und der vermögenden Schichten. Bei diesen Leuten in die Villen einzudringen ist eine symbolische Aktion. Deutschland ist die zweitgrößte Handelsnation der Welt. Dort in die Villen einzubrechen, bei den Reichsten der Reichen, das hat Symbolcharakter. Auf die Idee gekommen bin ich durch einen Zeitungsartikel über einen Pariser Arzt. Der ist zwanzig Jahre lang in Villen eingebrochen und hat die Beute bei sich im Keller gelagert. Niemand wusste je davon. Ich finde, das hat eine innere Poesie und Schönheit, so etwas zu tun. Die private Revolte ist in Wahrheit nie privat, sondern hat gesellschaftliche Dimensionen. In meinem Film umso mehr, als dass sie in den Villen Botschaften hinterlassen und auf Nachahmungstäter hoffen.

Hoffen Sie als Regisseur darauf?

Es soll weiß Gott keine Handlungsanweisung sein. Es soll viel eher provozieren, im Rahmen eines Films. Ich wollte in diesen Szenen einmal grundsätzlich diskutieren, wie man als junger Mensch noch politisch aktiv sein kann. Und welche Ängste man dazu überwinden muss. Letztendlich geht es darum, eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. Wenn du aus dem Kino herauskommst, sollst du das Gefühl haben: Wenn ich, als junger Mensch – und „jung sein“ hat hier überhaupt nichts mit dem Alter zu tun –, das Gefühl habe, es stimmt etwas nicht mit der Welt, ich bin nicht glücklich, ich bin wütend, dann muss dieses Gefühl raus, in Aktion umgesetzt werden, weil man sonst krank wird.

Wenn man nichts erreicht mit seinen Aktionen, wird die Frustration noch größer.

Viele Revolutionen sind vielleicht gescheitert, aber das Wichtigste ist doch, dass die besten Ideen überlebt haben. Sonst würden wir alle noch auf dem Kartoffelacker knien und Kartoffeln aufklauben für den Burgherren. Es gäbe keine Gewerkschaft, keinen Mindestlohn und keinen sozialen Ausgleich …

der gerade wieder schrittweise abgeschafft wird …

Ja, aber ich glaube – ich hoffe, dass ein paar der Errungenschaften bleiben. Es geht um Gerechtigkeit, nicht nur in Deutschland. Es geht um globale Gerechtigkeit. Natürlich klingt es banal, wenn man so etwas im Film sagt, und man setzt sich der Peinlichkeit aus. Es ist banal, die ganze Welt ist banal, sie ist absurd und banal zugleich. Wir befinden uns in der größten Massenpsychose der Geschichte. Diese Wahnvorstellungen des permanenten Wirtschaftswachstums, das niemals aufhören darf.

Während des Films hatte ich einige Male das Gefühl, jetzt muss es gleich schrecklich peinlich werden. Ganz konkret in der Szene, als sie Hardenberg auf der Hütte gegenübersitzen und es so sonnenklar ist, dass deren jugendlicher Enthusiasmus und Idealismus gleich vollständig abbranden werden an seiner aalglatten Art, sich und sein Leben zu rechtfertigen. Wurde es aber gar nicht. Es ergab auf seine Art einen Sinn.

Diese Szene habe ich mehr zum Spaß gedreht. Ich dachte mir, nie im Leben, das kannst du nicht bringen. Ich hatte diese vielen Dialoge und war mir sicher, das klappt nicht. Aber es reizt mich, mit Dogmen zu brechen. Das Dogma, das du in der Filmschule ständig eingetrichtert bekommst, lautet: „Du darfst nur mit Bildern erzählen!“. Ich bin sowieso ein Richard-Linklater-Fan.

der zuletzt „Before Sunset“ gedreht hat …

Ich liebe seinen Film „Slacker“, und die ganzen Theorien, die da ausgebreitet werden, das finde ich einfach klasse. Es gibt nun mal diese Theorieblöcke in meinem Film, da muss man durch. Das ist so wie in der Schule. Da war immer eine Stunde Geschichtsunterricht, und dann? Sport.

Ich fand die Idee mit den Botschaften überraschend: Dass sie sich die „Erziehungsberechtigten“ nennen und oberlehrerhaft den Zeigefinger erheben, und den Villenbesitzern sagen, „ihr müsst den Gürtel enger schnallen“, „Schluss mit lustig“ und solche Dinge.

Normalerweise ist es das Vokabular konservativer Politiker, die damit die Kürzung der Sozialleistungen meinen, aber man muss genau diese Botschaften umdrehen. Ich wollte das einfach nehmen und umdrehen und sagen: „Eure Zeit ist abgelaufen.“ Weil die Leute keinen Bock mehr haben, sich ausbeuten zu lassen.

Die letzte Botschaft im Film ist auch doppeldeutig: „Manche Menschen ändern sich nie.“ Das kann man auf die eine oder auf die andere Seite beziehen.

Das war bezogen auf Hardenberg, der sich nicht ändert, der eben nicht aus seiner Haut rauskann. Er müsste ja seine ganze Identität aufgeben, wenn er die drei nicht anzeigt. Er muss zurück in sein altes Wertesystem. Und das heißt, sofort taucht die „Verantwortung“ auf und die Frage, was ist, wenn die noch mal jemand entführen. Man kann das vielleicht auch so lesen, dass Jan, Jule und Peter jetzt ihr Ding durchziehen, nicht aufgeben, sondern weiterkämpfen.

Ist die Figur von Hardenberg als Generalvorwurf gegen die 68er-Generation gemeint?

Nein, Generalvorwürfe sind nicht meine Sache. Das Problem hat mich grundsätzlich interessiert: Wird ein Mensch umso konservativer, je älter er wird? Muss man seine Ideale notwendigerweise aufgeben? Die 68er Revolution hat sehr viel bewegt, aber im Endeffekt ist sie nicht weit genug gegangen. Hat zu schnell den Marsch durch die Institutionen angetreten. Die grundlegenden Prinzipien des kapitalistischen Systems haben sich nicht geändert. Gerade in meiner Generation herrschte eine Orientierungslosigkeit und Ratlosigkeit.

Aber diese Orientierungslosigkeit besteht ja überhaupt nicht mehr. Es wird immer von Politikverdrossenheit geredet, und tatsächlich interessieren sich die Leute für Politik wie selten zuvor. Es gibt enormen Zulauf für soziale Bewegungen und Engagement für politische Themen.

Viele, die ich kenne, sind aktiv in der Attac-Bewegung. Ich glaube, dass Geschichte immer in Wellenbewegungen verläuft. Es kann nicht mehr ewig so weitergehen. Vielleicht kommt jetzt wieder eine kritische Generation, und vielleicht hat es die Zeit gebraucht, um neue Strategien zu entwickeln, gegen ein System, das sein Gesicht nicht offen zeigt. Zeit gebraucht, um das zu durchschauen, diese Vereinnahmungsstrategie des Kapitalismus.

„Die fetten Jahre sind vorbei“ war der erste deutschsprachige Beitrag im Wettbewerb von Cannes seit elf Jahren. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?

Cannes ist ein riesengroßer Zirkus. Entweder man lässt sich drauf ein, oder man bleibt zu Hause. Für mich war es eine Gelegenheit, den Film international bekannt zu machen. Wir sind da hinein wie die „Erziehungsberechtigten“ in eine Villa und haben unsere Botschaft hinterlassen. Es war lustig und surreal zugleich, wie ein großer Kindergarten. Man darf es nicht zu ernst nehmen.

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