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Archiv-Artikel

„Ich arbeite im Garten“

Eben ist Udo Kier 60 Jahre alt geworden. Ein Gespräch mit dem Schauspieler über Nebenrollen, die um die Welt gehen, das Glück zu arbeiten – und im richtigen Augenblick Gus Van Sant zu begegnen

INTERVIEW AMIN FARZANEFAR

taz: Herr Kier, wie ist es, wenn man zu seinem Sechzigsten mit seinem Gesamtwerk konfrontiert wird?

Udo Kier: Was heißt Gesamtwerk? Ich habe das nicht gezählt, aber im Internet stehen 150 Filme. Es ist auch nicht irgendwie „traurig“, dass ich jetzt sechzig geworden bin. Gerade habe ich einen Film gedreht mit Ben Kingsley und Geraldine Chaplin, „Bloodrayne“ – mit der wunderbaren Kristanna Loken aus „Terminator 3“. Dann habe ich was in New York gemacht als Priester, in Hamburg drehe ich 13 Folgen einer Kinderserie für die ARD, die heißt „4 gegen Z“ – ich bin Z, ein Mensch, der 538 Jahre alt ist, unter der Stadt Lübeck lebt und die Stadt besitzen möchte. Und ich habe gerade für RTL „Engel“ gedreht, eine Serie in Anlehnung an „Drei Engel für Charlie“, wo ich Richard spiele, einen im Rollstuhl sitzenden Millionär. Also: Ich arbeite immer weiter und weiter – von daher ist das Jubiläum eine Zwischenstation. Traurig wäre für mich, wenn ich keine Filme mehr machen würde.

Udo Kier, der Finsterling: Das ist ja fast schon eine Ikone, ein Label. Haben Sie den Wunsch, andere Filme zu machen – weg vom perversen Priester, weg vom demagogischen Doktor?

Also einen perversen Priester habe ich noch nie gespielt …

Und was war bei „Terror 2000“ von Schlingensief?

Och, der war doch nicht pervers. Bei Schlingensief ist nichts pervers, das ist doch wunderbar.

Aber füllt Ihre bisherige Rollenwahl schon aus, was Sie immer machen wollten?

Was heißt Auswahl? Das sind meistens Filme, die mir angeboten werden. Ich arbeite meist mit immer denselben Regisseuren – zehn Filme mit Schlingensief, neun Filme mit Lars von Trier, zwei mit Gus Van Sant, früher habe ich mit Fassbinder viele Filme gemacht. Das sind Rollen, die ich gemäß ihren Erwartungen spiele. Und im Privatleben bin ich ein ganz anderer Mensch: Ich arbeite im Garten, finde Hunde auf der Straße – ich hatte vier Hunde, einer ist gestorben, jetzt hab ich drei. Ich sammle Möbel, sammle seit 30 Jahren moderne Kunst, einen Querschnitt von Giacometti bis Polke, Marcel Odenbach und Andy Warhol natürlich, Man Ray und andere. Und wenn ich Filme mache, will ich Spaß haben. Und warum soll ich denn keine Vampire spielen oder kranke Ärzte? Auch wenn ich etwas anderes mache – bei Herzog den Polizeichef oder bei Wenders einen Regisseur –, das sind ja auch meist fantastische, also nicht existierende Personen. Und das macht Spaß als Schauspieler, weil’s in der Fantasie ja keine Grenzen gibt.

Wird das Fantastische, werden die Monster und Kreaturen von außen an Sie herangetragen oder finden Sie sich darin wieder: als Außenseiter?

Nee, auf keinen Fall. „Dracula“ und „Frankenstein“ wurden mir angeboten, Andy Warhol produzierte, Paul Morrissey führte Regie, und dadurch bekam ich später immer wieder diese Rollen … Ich bin durch Warhol dazu gekommen, Vampire zu spielen, und später wiederholte sich das – in „Blade“ oder „Shadow of the Vampire“, wo ich gar kein Vampir war. Und leider wird das dann immer wieder bedient. Christopher Lee hat nur Vampire gespielt, und wenn er andere Filme machte, andere Rollen, hatte er es auch schwer, ernst genommen zu werden und damit zu überzeugen, dass er auch andere Menschen spielen kann als Vampire … Vampire sind ja keine Menschen. Apropos: Du hast dich aber geschnitten beim Rasieren heute, mein lieber Mann!

Hab mich halt beeilt … Also, nicht dass irgendjemand Sie nicht ernst nehmen würde: Sie sind ernst bis zum Angstkriegen, aber was wäre die Rolle, die Sie gerne spielen würden, aber nicht spielen können, weil das Image im Weg steht?

Welche Rolle man spielen will, ändert sich mit dem Alter. Als ich jung war, wollte ich unbedingt Rimbaud spielen, das war meine Traumrolle; die hat dann Leonardo DiCaprio gespielt, der viel jünger ist. Oder Gilles de Rais. Aber ich kann ja nicht mit 60 Rimbaud spielen; das wäre dann ja wirklich „pervers“.

Aber Francis Bacon …?

Zum Beispiel. Ich hab aber immer aufgepasst in meiner Auswahl, keine Menschen darzustellen, die gelebt haben, außer Hitler natürlich. Der ist ja von mir in der Übertreibung dargestellt worden, zweimal in der Komödie. Und Francis Bacon zu spielen hätte ich wirklich Hemmungen, weil er ein so hervorragendes Genie war. Das würde ja Monate dauern oder Jahre, wenn ich mich mit so was auseinander setzte: Bacon oder Giacometti. Jetzt habe ich einen Film in Bukarest gemacht, mit Andy Garcia, der heißt „Modigliani“. Ich spiele Max Jacob; das war ein Poet, der Freund von Jean Cocteau. Einen Dichter zu spielen ist natürlich einfacher, man muss ja nur die Bücher lesen und versuchen, sich in die Person hineinzuversetzen. Aber große Rollen zu spielen wie jetzt Bruno Ganz – und wie ich gehört habe, ganz hervorragend –, das kann ich nicht mal so eben. Ich hab den „Untergang“ noch nicht gesehen, weil ich einfach keine Zeit habe. Ich drehe so viel, da bin ich froh, wenn ich zu Hause auf dem Bett liege und fernsehe.

Wo liegen Sie denn dann: mehr hier in Deutschland oder mehr in den USA? Es ist bekannt: Udo Kier ist Kölner. Sehen Sie über die Jahre hinweg die Stadt immer anders, oder bleibt sie eher ein Fixpunkt?

Köln ist meine Heimat, da, wo meine Wurzeln sind. Aber natürlich gibt es eine Veränderung: Es wird gebaut, die Städte werden kleiner, aber die Menschen werden mehr. Das ist überall so. Wo früher die Kunsthalle stand, gibt's jetzt ein Loch. Das war auch meine Idee, das Wort „Kölner Loch“, wo es jetzt den „Loch e. V.“ gibt. Ich habe da das erste Mal versucht, mich für etwas einzusetzen, für den Erhalt des Josef-Haubrich-Forums, leider nicht erfolgreich. Wir hatten damals ein Hilfsgremium, Frau Rosemarie Trockel hat eine Rede geschrieben, die von mir also vor der Kunsthalle vorgetragen wurde, als sie noch stand. Jetzt steht zwar draußen dran: „Hier entsteht ein Kunstzentrum“, aber das wollen wir erst mal sehen, was da entsteht. Wahrscheinlich ein Supermarkt mit Garagen … Aber wenn ich in Köln bin, ist das genau wie immer: ich fahre mit der Straßenbahn über die Brücke, sehe den Dom und hab Erinnerungen – an jeder Ecke, ob ich am Neumarkt langgehe oder die Hohe Straße.

Gilt das auch umgekehrt?

Wenn ich in Amerika lebe, in Los Angeles, dann denk ich oft an Deutschland zurück. Nur „Heimweh“ – Weh und Schmerz – hab ich nicht, und wenn ich hier bin, denk ich wiederum an Amerika. Ich bin ja auch nie richtig aus Deutschland „weggegangen“, ich hab meine Wohnung und meine Sachen hier; ich könnte also jederzeit morgen wieder einsteigen, aber da kommt auf der anderen Seite dazu: Wenn man 12 Jahre in Amerika lebt, dann gewöhnt man sich irgendwann auch mal an diese Schnelligkeit und Oberflächlichkeit.

Die Kreaturen, die Sie spielen, sind oft Halbwesen. Sie selbst leben ja auch zwischen zwei Welten. Bedingt das eine besondere Perspektive auf Hollywood, auf Europa?

Ich bin schon sehr früh weg aus Deutschland. Ich war neugierig, und es war hier nicht sehr angenehm in den Nachkriegsjahren. Schon mit 21 habe ich in London meinen ersten Film gemacht, danach habe ich vier Jahre in Rom gelebt, dann in Paris. Irgendwann kam ich nach Deutschland zurück, doch als Fassbinder starb, gab es keinen Grund für mich, in Deutschland zu bleiben – damals kannte ich ja Schlingensief noch nicht. Damals dachte ich in meiner Neugierde: einfach mal versuchen, nach Amerika zu kommen. Und ich hatte jenes Glück, das viele Schauspieler nicht haben: Auf der Berlinale lernte ich Gus Van Sant kennen, und er sagte „I make a movie with Keanu Reeves and River Phoenix and I have a role – Hans – for you.“ Ich dachte: „Na, die reden hier aber alle viel“, aber die Rolle kam zustande, „My Own Private Idaho“, und alles weitere dann auch. Ich finde es auch okay, wenn es nicht immer die Hauptrollen sind: bei einem Studiofilm wie „Blade“ oder „End of Days“ mit Schwarzenegger oder „Armaggedon“ geht der Film um die ganze Welt. Und für mich ist wichtig, dass mich viele Leute sehen, nicht aus Egoismus heraus, sondern weil ich dann wieder jungen Leuten, die ihren ersten Film machen, einen Brief mit meinem Namen geben kann, dass ich das Drehbuch gut finde, dass ich bereit bin, den Film zu machen.

Das Eigentümliche bei Ihnen ist ja, dass Sie das, was man „supporting actor“ nennt, dauerhaft ausfüllen, ohne dass da ein Gefühl des Scheiterns aufkommt. Bei anderen – wie Til Schweiger etwa oder Jürgen Prochnow – hätte man das Gefühl eines verhinderten Stars. Aber Sie sind anscheinend genau da an der richtigen Stelle.

Richtige Stelle – ich weiß nicht. Wie gesagt: Ich bin überhaupt nicht ehrgeizig, habe am liebsten meine Ruhe, arbeite im Garten und pflanze Bäume. Das macht mich viel glücklicher, als irgendwelchen Filmen hinterherzurennen. Und ich habe viel Glück! Da sitze ich im Flugzeug und einer sitzt neben mir, der heißt Paul Morrissey. Ich bin auf einer Party, da sagt einer „Ich bin Regisseur und heiße Gus Van Sant“. Oder ich bin im Wettbewerb mit Lars von Trier und fortan machen wir Filme zusammen. Mal ist die Rolle groß, mal nicht. Ich habe bei Lars von Trier mit der männlichen Hauptrolle von Medea angefangen, und gerade haben wir „Manderlay“ beendet, wo ich fünf Wochen lang als Gangster auf einer Farm mit einem Maschinengewehr rumstehe. Auch wunderbar! Und schwierig, mit einem Maschinengewehr rumzustehen und nicht zu schießen!

Ihre ganzen Abgründe bleiben in den Filmfiguren?

Ja, hoffentlich! Das wäre aber schade, wenn das auf mein Leben übergreifen würde …

Wie bei Kinski zum Beispiel?

Ach ja … Kinski ist hervorragend gewesen. Einer meiner Lieblinge, weil er immer das gesagt hat, was er sagen wollte, und gemacht hat, was er machen wollte. Schlingensief ist jetzt genauso. Ich finde es sehr schön, das Extreme zu spielen, und sage immer: Um den Teufel zu spielen, musst du ein Engel sein. Das ist bei mir immer die Hauptlust: etwas zu erzeugen, was ich nicht bin. Wenn mir ein Regisseur sagen würde: „Sei doch mal ganz du selbst“, dann käme ich ins Schleudern oder ich müsste fragen: „Wie seht ihr mich denn?“