KIRSTEN FUCHS über KLEIDER : Die Angst watschelt mit
Gummistiefel und Fellpuschen sind ja praktisch. Aber wozu brauchen wir sie? Für die nahende Apokalypse
Wenn ich mich umsehe, sehe ich Menschen in Angst und Schrecken, in Gummistiefeln und Militärklamotten. Worauf bereiten die sich vor? Oder sind es schon nicht mehr „die“, sondern „wir“? Was ist nur los? Wo kommt diese Angst her? Wie viele Moden kommt die Angst in der Mode aus Amerika. Einer ahmt es vor, alle ahmen es nach, Amen.
Natürlich tragen viele Menschen einfach alles, was man ertragen kann, auch Aschenbecher als Ohrenschützer, und sie würden nie auf die Idee kommen, Angst zu haben, aber die flattrigen, sensiblen Modemacher spüren diese Tendenzen auf. Sie kleiden die Herzen der Hilflosen ein.
Auf einmal tragen junge Frauen Gummistiefel, wie alte Bäuerinnen bei der Kartoffelernte. Wir bereiten uns auf Schlamm, Matsch und Hochwasser vor. Gummistiefel sind ja auch praktisch, aber wann? Bei Klimakollaps und Dauerregen. Damit wir die Flut nicht durch ständiges Heulen beschleunigen, sind die Gummistiefel bunt und lustig. Wer weiß, in wie vielen Vorgärten fleißig an Archen gebaut wird?
Und dann gibt es diese riesengroßen, gesteppten Kapuzen mit Kunstfellrand. Ghettozeugs. Die Kapuzen sind dermaßen übergroß, als ob Modemacher damit rechnen, dass sich unsere Köpfe aufblasen. Durch einen Chemieunfall oder durch Radioaktivität? Oder als ob der Träger dieser Jacke befürchtet, obdachlos zu werden und in diesem Falle beabsichtigt, seine XXXXL-Kapuze als Schlafsack zu benutzen. Er rechnet mit Armut, aber er wird gut aussehen unter der Brücke … wenn die Brücke noch steht …
Und diese ganzen Militärklamotten. Nimmt das nicht zu? Schleicht sich da nicht eine Desensibilisierung an? Erkennen wir Soldaten bald nicht mehr als Soldaten? Sie können einfach einmarschieren. Ist das ein guter Plan, oder was? Wenn sich die Grenze zwischen Soldaten und Zivilisten verschiebt, heißt das zwangsläufig auch, dass Zivilisten Soldaten werden? Was baut Amerika für eine Armee auf? Worauf bereiten die sich vor in den Schnürstiefeln? Bürgerkrieg und Terror? Wann gibt es schöne schusssichere Westen? Was ist mit Helmen? Wenn nun Meteoriten auf uns sausen? Es gibt zu jeder Befürchtung einen Film und eine Stelle in der Bibel, darum sollte es zu jeder Befürchtung auch eine Kopfbedeckung und einen Schuh geben.
Und dann noch der letzte Angstschrei aus den USA, diese Puschen, genannt „Ugg“, und so sehen sie auch aus. Uggs sind ursprünglich australische Schuhe, klobige Fellstiefel, in denen sich Surfer die kalten Füße gewärmt haben. Jetzt latschen in ihnen die Hippsten der Hippen und die Nachahmer der Hippsten der Hippen durch New York, wenn es nicht regnet, denn dann werden, off course, die bunten Gummistiefel bevorzugt. Von Australien nach New York nach Deutschland. Inzwischen ist auch hier von einem Ugg-Boom die Rede, und schon allein die Wortschöpfung Ugg-Boom zeigt, dass wir anscheinend echt keine anderen Probleme haben. Ugg-Boom, Ugg-Boom, muss nur noch ein Beat drunter und dann kann in Sankt Moritz getanzt werden, bis sich die Schneelawinen lockern.
Hab ich Verfolgungswahn, oder sehen diese Schuhe aus, als kommt die Eiszeit? Ich gebe zu, ich hätte lieber Verfolgungswahn, als dass diese These der Wahrheit entspräche. Wir werden für alle Katastrophen eingekleidet. Die Regierungen haben aufgegeben und die Modemacher beauftragt, uns vorzubereiten. Zieht euch warm an! Haben in Amerika sehr viele Menschen den Film „The Day After Tomorrow“ gesehen? Von einem deutschen Filmemacher!!! Und war es nicht auch egal, welcher der beiden amerikanischen Präsidentenkandidaten gewinnt, der Esel oder der Elefant, weil beide das Kioto-Protokoll nicht unterschreiben wollen? Denn die Klimaveränderung in seinem Lauf hält weder Elefant noch Esel auf. Bush ist der größere Angst-Präsident, deshalb hat er gewonnen.
Die Angst ist in, ist chic und die Modemacher riechen so was. Sie lassen die Käufer unterbewusst mit den Füßen abstimmen. Habt ihr auch Angst? Ja! Wovor? Egal! Wollt ihr neue Schuhe? Ja! Ruft lauter! JA! Ugg-Boom, Ugg-Boom.
Fragen zum Ugg-Boom? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH