: „Gefährlicher Irrsinn“ in Wien
Österreichs Innenminister Strasser überzieht prominente Flüchtlingsanwälte mit fadenscheinigen Ermittlungen, weil sie Verschärfungen des Asylrechts ablehnen
WIEN taz ■ Als Caritas-Zögling wurde Österreichs Innenminister Ernst Strasser einst von Jörg Haider verhöhnt. Ein Weichei, das der Polizei Zurückhaltung gegenüber Demonstranten verordnet, ist der konservative ÖVP-Politiker aber nicht mehr. Die Grünen werfen ihm inzwischen vor, den Boden des Rechtsstaates zu verlassen. Und amnesty international vergleicht sein Tun mit Ländern wie Pakistan, Tunesien oder Kolumbien.
Anlass ist die Einschüchterung zweier prominenter Menschenrechtsanwälte, Nadja Lorenz und Georg Bürstmayr. Vor einem Monat beantragte das Wiener Innenministerium beim österreichischen Bundeskriminalamt, zu prüfen, ob Bürstmayr sich der „Schlepperei“ schuldig gemacht habe – dieser Tatbestand ist erfüllt, wenn jemand zum Zweck der eigenen Bereicherung Menschen illegal ins Land schleust.
Bürstmayr war im Februar auf eigene Rechnung einer Gruppe tschetschenischer Flüchtlinge nachgereist, die nach der Überquerung des Grenzflusses zwischen Tschechien und Österreich umgehend zurückgeschoben worden waren. Er klärte sie über ihr Recht auf, in Österreich Asyl zu beantragen, und hinterließ eine Visitenkarte. Einer der betroffenen Frauen gelang es später, wieder nach Österreich zu kommen, wo sie sich an Bürstmayr wandte.
Die Staatsanwaltschaft brauchte nicht lange, um die Strafanzeige des Innenministers als unbegründet zurückzuweisen. Anders erging es Nadja Lorenz, Vorsitzende der Asylorganisation „SOS Mitmensch“ und Rechtsvertreterin der Angehörigen eines Mauretaniers, der letztes Jahr durch Misshandlung während seiner Festnahme starb. Sie wurde wegen „Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze“ angezeigt. In ihrem Fall stützten sich die Schnüffler im Innenministerium auf ein im September in der Tageszeitung Der Standard veröffentlichtes Interview, in dem Lorenz dazu aufrief, Asylwerber vor den Behörden zu schützen. „Wenn schwer traumatisierte Menschen von Abschiebung bedroht sind, muss man ihnen helfen. Ein Verstecken ist das nicht.“
Die Möglichkeit, traumatisierte Flüchtlinge vor Abschluss ihres Berufungsverfahrens abzuschieben, war in der am 1. Mai in Kraft getretenen Reform des österreichischen Asylgesetzes eingeführt worden. Inzwischen hat der Verfassungsgerichtshof diese und andere Neuerungen des Gesetzes als völkerrechtswidrig aufgehoben. Es war Georg Bürstmayr, der sie im Namen der Stadt Wien vor dem Höchstgericht angefochten hatte.
Die Revanche folgte: Als einziges Mitglied des Menschenrechtsbeirates wurde Bürstmayr, der bisherige Kommissionsleiter dieses Beratergremiums, vom Ministerium nicht wiederbestellt. Als Begründung gab ihm Strasser an, gegen ihn würde ja wegen Schlepperei ermittelt.
Beamte aus dem Innenministerium haben nun gegenüber amnesty international erklärt, sie seien angewiesen worden, „alle offenen Quellen“ zu analysieren, um Bürstmayr und Lorenz etwas anzuhängen. Amnesty international alarmierte daraufhin die UNO-Menschenrechtskommission. Ai-Generalsekretär Heinz Patzelt forderte, „dass mit diesem grob brandgefährlichen Irrsinn Schluss gemacht wird“. RALF LEONHARD