: Bomben von rechts
Im sächsischen Wurzen wurde ein Bombenanschlagauf das Büro eines Demokratieprojekts verübt
BERLIN taz ■ In der Nacht zum Sonntag wurde auf das Büro des Netzwerks Demokratische Kultur in Wurzen ein Sprengstoffanschlag verübt. Zu dem unangekündigten Anschlag hat sich bisher niemand bekannt. Die Polizei vermutet einen rechtsextremen Hintergrund.
Zwei Sprengkörper explodierten an der Eingangstür und dem Schaufenster zur Straße. Fenster und Tür wurden stark beschädigt, die Explosion der Bomben konnte jedoch das Sicherheitsglas nicht durchdringen. Nachbarn hatten eine Explosion gehört, doch die Polizei wurde erst am Vormittag informiert, als Ingo Stange, Mitarbeiter der Opferberatungsstelle AMAL, sein Büro betreten wollte. „Es waren deutlich die Reste von zwei Halterungen und Schmauchspuren zu sehen. Das waren Bomben, das grenzt an Rechtsterrorismus“, sagte Ingo Stange der taz.
Die Reste wiesen auf eine etwa zehn Zentimeter lange Rohrbombe hin. In dem Büro befinden sich eine Medienwerkstatt, ein mobiles Beratungsteam gegen rechte Gewalt sowie die Beratungsstelle AMAL für Opfer rechter Gewalt. Die Initiative hatte sich gegründet, weil es in Wurzen seit Jahren Übergriffe rechter Schläger gibt. Der Stadtrat, in dem auch NPDler sitzen, ignorierte diese Probleme jedoch.
Die Polizei benachrichtigte das LKA und Sprengstoffexperten. Die Auswertung des sichergestellten Materials wird einige Tage dauern. Stefan Meister, Vorsitzender des Netzwerks, zeigte sich wenig überrascht: „Wir haben nicht damit gerechnet, dass so etwas passiert, doch es wundert mich auch nicht.“
Wurzen gilt seit Jahren als Hochburg der Naziszene im Umfeld von Leipzig. „Dass die Nazis hier nach wie vor aktiv sind, merken wir jeden Tag“, sagte Meister. Der Tatort wurde auch vom Polizeipräsidenten im Muldental Bernd Merbitz besucht. „Dieser Anschlag hat eine neue Qualität, das gab es in Wurzen noch nie.“ Merbitz sagte, bei dem Anschlag handele es sich um eine völlig neue Dimension der Gewalt und nicht um einen Dumme-Jungen-Streich. „Ein Rohrbombenanschlag erfordert Planung und setzt Erfahrung voraus. Darüber sind wir schon erschrocken.“ Auch Merbitz will einen rechtsextremen Hintergrund nicht ausschließen.
Auch Bürgermeister Gerald Lehne verurteilt den Anschlag. Er bedauert zutiefst, dass es dazu gekommen ist, und hofft, dass sich die jungen Leute vom Netzwerk nicht einschüchtern lassen und sich weiter für demokratische Kultur in der Region einsetzen. „Wir sind nicht ängstlich“, meint Stefan Meister, „wir hoffen nur, dass die Bürger die Bedrohung verstehen. Und dass die Stadt uns nun mehr als vorher unterstützt.“ Die Stadt will eine Unterschriftenaktion starten, in der die Bürger sich mit dem Netzwerk Demokratische Kultur solidarisieren können. Ingo Stange: „Das ist gut, auf ein deutliches Zeichen von der Stadt haben wir lange gewartet. Wir galten zu lange als Nestbeschmutzer.“ Gerade in letzter Zeit hatte die Initiative eine Zunahme rechter Übergriffe in Sachsen beklagt. ANETTA KAHANE
Die Autorin (50) ist Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung