: Jahrmarkt der Streichvorschläge
Tag der Arbeit, Tag der Einheit, Dreikönigstag – jeder fordert die Abschaffung des Feiertags seiner Wahl. Geht es um Produktivität oder Profilneurose?
VON COSIMA SCHMITT
Wenn alle aktuellen Debatten, einen Feiertag zu streichen, folgenlos verhallen – dann ist das ein Gewinn für die Wirtschaft, meint Steffen Lehndorff, Arbeitszeitforscher am Institut Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. „Diese Ideen basieren auf einer grundfalschen Annahme: Dass die zusätzliche Arbeitszeit ein entsprechend höheres Wachstum bringt“, sagt Lehndorff. „Unsere Studien aber belegen: Das ist ein Irrtum.“
Das Institut hat in mehreren europäischen Ländern untersucht, ob Mehrarbeit die Produktivität anregt oder bremst. Ihr Ergebnis: Je länger die Menschen arbeiten, desto weniger ergiebig ist, was sie tun. Eine kurze Arbeitszeit hingegen wirkt wie eine „Produktivitätspeitsche“, die Menschen sind motiviert und kreativ. Daher setze die aktuelle Debatte auf eine „zu schlichte Logik“, so Lehndorff: Ein paar Stunden Mehrarbeit würden die Kosten pro produzierter Einheit nur dann senken, wenn alle übrigen Bedingungen gleich bleiben. De facto aber teilen sich Beschäftigte, so die Analyse der Forscher, ihr Pensum dann lediglich anders ein, verlängern etwa ihre Kaffeepausen. Fühlen sie sich durch eine längere Arbeitszeit oder den Verzicht auf einen freien Tag drangsaliert, sinkt ihre Motivation; unter Umständen arbeiten sie sogar weniger effektiv als zuvor, so die Forschungsergebnisse.
Feiertag oder Urlaubstag?
„Das Erstaunlichste an der Debatte um die Abschaffung des 3. Oktobers als Feiertag ist, dass niemand, auch nicht die Union, die Grundannahme der Regierung anzweifelt: nämlich dass Mehrarbeit der Wirtschaft hilft“, sagt Lehndorff.
Tatsächlich diskutieren Politiker aller Couleur derzeit weniger um Sinn und Unsinn eines zusätzlichen Arbeitstags, sondern um die Frage, auf welchen freien Tag der deutsche Arbeitnehmer am ehesten verzichten könnte. CSU-Chef Edmund Stoiber etwa schlägt vor, einen Urlaubstag zu streichen. Wolfgang Böhmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hält den Dreikönigstag am 6. Januar für verzichtbar: „Es gibt Feiertage, von denen die Bürger kaum noch wissen, weshalb sie gefeiert werden.“ Ohnehin wird der Dreikönigstag nicht in allen Bundesländern begangen. Die Regierung wiederum hatte bewusst keinen christlichen Feiertag zur Streichung vorgeschlagen. Denn dann bräuchte sie die Zustimmung des Bundesrats. Nicht aber für den Verzicht auf den 3. Oktober und den 1. Mai, den Katherina Reiche, Mitglied des CDU-Bundesvorstands, am liebsten abgeschafft sähe.
Der evangelische Theologe Friedrich Schorlemmer stellt den Himmelfahrtstag zur Debatte. Hingegen findet es Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, „im Ansatz verfehlt“, überhaupt einen Feiertag zu streichen. Er wehrt sich gegen eine „Ökonomisierung unseres gesamten Lebens und Denkens“ um der „Wirtschaftsdaten eines Jahres willen“.
Finanzminister Hans Eichel (SPD) wollte den arbeitsfreien 3. Oktober abschaffen, um so den Haushalt zu sanieren. Zusätzliche zwei Milliarden Euro erhoffte er sich davon, den Nationalfeiertag auf den ersten Sonntag im Oktober zu verlegen. Dies sollte helfen, die Neuverschuldung 2005 unter die Dreiprozentmarke zu drücken, wie der Euro-Stabilitätspakt es verlangt. Nach 24 Stunden scheiterte Eichels Plan – auch am Widerstand der Grünen, die sich übergangen fühlten. Nun lehnt es Eichel ab, eine Alternative zu benennen. „Ich werde einen Teufel tun“, sagte er gestern.
Stunde der Lobbyisten
Andere Lobbygruppen hingegen nutzen die Gunst der Stunde, altbekannte Forderungen aufzufrischen. Michael Rogowski etwa, Präsident der Bundesverbands der Deutschen Industrie, sprach sich für längere Arbeitszeiten aus. „Wenn wir zur 40-Stunden-Woche zurückkehrten, entspräche dies dem Streichen von elf Feiertagen“, rechnet er vor. Das brächte einen Schub für die Konjunktur. Das unterstützt auch Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Die SPD dagegen ist uneins: Während der Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz forderte, Arbeitnehmer müssten „mehr arbeiten für etwas weniger Geld“, lehnt sein Fraktionskollege Rainer Wend die Rückkehr zum langen Arbeitstag ab.
„Die Parole ,Zurück zur 40-Stunden-Woche‘ ist unsinnig“, sagt Arbeitszeitforscher Lehndorff. „Selbst wenn das die Produktion steigern sollte – wenn nicht gleichzeitig die Einkommen steigen, wer sollte die zusätzlichen Waren dann kaufen?“ Die „absurde Diskussion“ über einen Feiertag mehr oder weniger oder Mehrarbeit lenke nur ab von der eigentlichen Krux der deutschen Wirtschaft: „Wir müssen die Binnennachfrage stärken und mehr investieren. Das ist es, was unsere Zukunft wirklich rettet.“