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Archiv-Artikel

Noteingang für Findeltrinker

In der schleswig-holsteinischen Provinz wartet die weltweit erste „Trinkerklappe“ auf Alkoholiker. Angehörige dürfen Problemfälle ab sofort auch anonym abgeben

BERLIN taz ■ Rechtzeitig vor Winterbeginn wurde gestern im schleswig-holsteinischen Dorf Wewelsfleth bei Itzehoe die erste „Trinkerklappe“ eingeweiht. In dem Ort gibt es ein Dichterheim für die Alfred-Döblin-Stipendiaten der Berliner Akademie der Künste und eine Nachsorgeeinrichtung zur sozialen Rehabilitation von Alkoholikern und anderen Drogenabhängigen – den Uhlenhof. Aus diesen beiden schon länger kooperierenden Institutionen kommen die drei Initiatoren der „Aktion ‚Findeltrinker‘“: Gerd Gedig, Peter Wawerzinek und Karsten Krampitz.

Sie geben gleichzeitig eine Dorfzeitung namens Uhlenhof heraus. In dieser heißt es: „Die Trinkerklappe befindet sich leicht erreichbar am Seiteneingang. Die Abgabe geschieht völlig anonym. Die Frau öffnet die Klappe und aktiviert damit die Helfer.“

Auf der gestrigen Pressekonferenz erklärten die Initiatoren die Notwendigkeit ihres Projekts: „Weil sie von ihren Frauen rausgeschmissen wurden, erfrieren jedes Jahr Hunderte Trinker. Eine offizielle Statistik über ihre Aussetzung gibt es nicht. Experten gehen davon aus, dass die meisten Kältetoten volltrunken waren. Vor allem alte und arbeitslose Männer werden rigoros entsorgt.“

Dies hänge damit zusammen, dass mit dem Auslaufen der Industrieproduktion immer mehr Männerarbeitsplätze abgebaut werden – und stattdessen vor allem Frauenarbeitsplätze neu entstehen, wobei in der neuen „Dienstleistungsgesellschaft“ sowieso primär weibliche Fähigkeiten wie „soziale und emotionale Intelligenz“ nachgefragt, das heißt ausgebeutet werden. Hierbei sind die Männer jedoch extrem unterqualifiziert.

Das hat zur Folge, dass immer mehr Ehefrauen ihre arbeitslos gewordenen und schließlich dem Suff verfallenen Männer als übergroße Belastung empfinden. Bei ihrem Rausschmiss, zumal nachts und in der kalten Jahreszeit, entwickeln jedoch viele Frauen starke Schuldgefühle; wenn ihre Männer erfrieren, hat dies unter Umständen auch strafrechtliche Konsequenzen für die Hinterbliebenen.

Hier soll die Wewelsflether „Aktion ‚Findeltrinker‘“ helfen. Dazu wurde neben dem Einbau einer Trinkerklappe im Uhlenhof eine Notrufnummer geschaltet (Tel. 0 48 29 - 92 26), wo Frauen, die sich mit ihrem trinkenden Partner überworfen haben, Beratung einholen und gegebenenfalls eine Übernahme des Trinkers vereinbaren können. „Im Uhlenhof erhalten diese dann umgehend medizinische Hilfe und in den kritischen ersten acht Wochen liebevolle Pflege“, versprechen die Initiatoren: „In dieser Zeit kann der Trinker noch von seiner Frau/Tochter/Mutter zurückgeholt werden. Danach beantragt der Betreuerstab seine Vormundschaft beim Amtsgericht, gleichzeitig kümmert er sich um die Vermittlung von Pflegegattinnen. Die Aktion ‚Findeltrinker‘ rettet Leben!“

Neben staatlicher Unterstützung ist sie auf private Spenden angewiesen. Die Initiatoren geben den potenziellen Nutznießern jedoch zu bedenken: „Die Inanspruchnahme unserer Trinkerklappe darf nur der letzte Ausweg sein, der es der Ehefrau oder Lebensgefährtin ermöglicht, straffrei zu bleiben.“

HELMUT HÖGE