Kirsten Fuchs über KLEIDER : Bei mir bist du schön
Bei meinem Liebsten ist mittlerweile der Lack ab, er lässt sich gehen. Jetzt pisst er mir auch noch in die Schuhe
Er ist ein Existenzialist. Er trägt einen schwarzen Samtanzug mit Pelzkragen. Er ist zeitlos, denn er hat seinen Stil nie geändert – und warum auch, wenn der Stil einfach stilvoll ist? Mein Blick ist vernebelt von Liebe, die sich anfühlt wie warmer Grießbrei mit Kirschen, darum sehe ich nicht, dass er alt und struppig ist. Das bemerke ich nur, wenn ich Besuch habe. Der sieht ihn an wie einen Popel, der auf meinem Bett liegt und sich einbildet, die Eleganz des junge Sinatra zu haben, dabei aber wie der alte Juhnke aussieht. Für seine frühere Eitelkeit ist er zu faul geworden. Er lässt sich im Liegen gehen.
Ich habe die Wahl: Will ich, dass er so edel aussieht wie früher, oder lasse ich ihn in Ruhe seinen struppigen Lebensabend bei mir verbringen? Finde ich meinen und seinen Frieden wichtiger oder dass er wieder eine glänzende Erscheinung ist? Er lässt sich nur bedingt von mir seinen Anzug pflegen. Er will nicht mehr ein schmucker Kater sein. Was hat er noch zu erwarten vom Leben? Er geht nicht mehr aus und ich liebe ihn ja sowieso. Für mich ist er schön genug, obwohl ihm inzwischen sogar ein Eckzahn fehlt. Früher hat er alle Miezen beeindruckt. Lange her! Soll ich ihm einen feschen Hut aufsetzen?
Ich finde Kleidung für Tiere doof, nicht gerade Gotteslästerung, aber zumindest Naturlästerung. Ich frage mich, ob Hunde, die sich in Regenmäntelchen knöpfen lassen, blöd sind. Auf jeden Fall wären diese Hunde blöde Katzen. Und die Besitzer haben auch ’ne Schacke. Kann schon sein, dass das seine Berechtigung hat, immerhin regnet es manchmal und nasse Hunde stinken übel, aber es gibt auch Hundemäntelchen aus Nerz. Vermurkster geht’s nicht mehr. Hunde lassen das mit sich machen, weil sie bekanntlich Rudeltiere sind und das Alphafrauchen das Sagen hat und einen feinen Fiffi haben will. Mein Kater würde mir was krallen, aber hallo!
Er ist, oder war, nicht zu verschönern und das wusste er auch. Außerdem fand er jede Beschränkung indiskutabel. Für das Halsband damals bekam ich den bösen Blick hinterhergefunkelt, bis ich es ihm wieder abnahm. Den Verband an seiner verletzten Pfote fand er auch das Hinterletzte, weshalb er beleidigt in der hinterletzten Ecke saß und nur nachts hervorkam, um in meine Schuhe zu pissen. Das ist lange her. Da war er noch so zielstrebig.
Nun habe ich das Problem, dass mir der alte Herr zwar nicht mehr aus Kalkül, aber trotzdem überall hinpisst. Aus Vergesslichkeit, aus Blasenschwäche, aus Angst, wenn mir in der Küche ein Kochbeutel Reis umfällt. Er lässt es einfach laufen. Ich schimpfe nicht, ich wasche und wische. Aber bald hängt der Haussegen krumm, das tritt nun gerade eine Katze nicht mehr gerade. Nicht mehr lange und ich muss ihm ein Windelhöschen anziehen.
Mir graut davor. Er wird sehr beleidigt sein. Ich will das eigentlich keinem Lebewesen antun, das versucht, vor seinem eigenen Ohr wegzurennen, wenn es juckt. Ich werde Löcher in die Windeln schneiden, damit ich seinen Schwanz durchfädeln kann. Er wird aufgeregt damit zucken. Letztens habe ich gelesen, dass die Windelfirmen sich darauf einstellen, dass in Zukunft mehr Windeln für alte Menschen benötigt werden als für Kinder. Früher, so stand in dem Artikel, hätten sich die alten Menschen die Kinderwindeln zurechtgebastelt, aus zwei mach eins. Irgendwann werden für Kinder dann Rentnerwindeln gekauft und aus eins mach zwei gebastelt.
Vielleicht sind auch bald mehr Haustierwindeln als Kinderwindeln im Handel. Dabei sind Kinder was Schönes, aber Haustiere versagen nicht beim Pisa-Test. Sie werden nur konsequent inkontinent. Ich könnte meinen Kater auch einschläfern lassen, weil ihn in der freien Natur sowieso jede Maus auslachen würde, aber mein Opa hat auch Diabetes und Oma will ihn behalten. Also Spritzen und Windeln. Schon seltsam. Und unnatürlich, wie dem Verhalten meines Katers anzumerken ist, wenn ich versuche ihm etwas anzutun, überzuhelfen, anzuziehen. Er hat ja Recht. Ich warte mit den Windeln noch ein bisschen.
Fotohinweis: Kirsten Fuchs KLEIDER Fragen zu Windeln? kolumne@taz.de MORGEN: Philipp Maußhardt über KLATSCH