: „Unter Putin geht es nur zurück“
INTERVIEW BARBARA OERTEL
taz: Der Fall des Wissenschaftlers Igor Sutjagin ist jetzt in Straßburg anhängig. Seine Verurteilung wegen Spionage zu 15 Jahren Lagerhaft ist ja nur einer unter zahlreichen derartigen Fällen. Ist dieses Vorgehen in Russland mittlerweile eine gängige Methode im Kampf gegen politische Opponenten?
Grigori Pasko: Die ersten Fälle dieser Art gab es bereits in den 90er-Jahren, noch unter Jelzin, in der Folge dann immer einen oder zwei pro Jahr. Die Tatsache, dass diese Prozesse in unterschiedlichen Landesteilen stattfanden und die Anklageschriften oft sehr ähnlich waren, ließen nur einen Schluss zu: dass dieses eine staatliche Politik war, die auf Einschüchterung zielte und auf die Rückkehr des FSB als Autorität.
Versucht der FSB, seine frühere Macht wieder zu errichten?
Der FSB hat bereits 1995 gespürt, dass im Jahre 2000 einer der ihren Präsident wird. In meinem Fall war der Druck des FSB auf die Gerichte beispiellos. Ich weiß von einem Zeugen, dass er vom FSB unter Druck gesetzt wurde, seine Aussage zu meinen Ungunsten zu ändern. Das hat er dann im Gerichtssaal auch getan. Dort waren Wanzen angebracht, und in den Gängen hielten sich ständig FSB-Leute auf. Wir haben dann gefordert, dass das Gericht einen Vertreter des FSB vorlädt, um diese Vorgänge zu erklären. Der erschien und sagte: „Ja, wir sind zuständig für die operative Unterstützung des Verfahrens.“ So läuft das bis heute. Es gab zwar die Hoffnung, dass mit der Einrichtung von Geschworenengerichten diese Art der Einmischung und Beeinflussung aufhört. Doch der Fall Sutjagin hat gezeigt, dass der FSB mittlerweile auch sehr gut versteht, Geschworenengerichte zu manipulieren.
Einige Beobachter sagen, Putin sei mittlerweile selbst zu einer Geisel des FSB geworden …
Ich denke das nicht. Natürlich hat seine Umgebung einen gewissen Einfluss auf ihn. Dennoch ist Putin keine Marionette in den Händen irgendwelcher Leuten. Er selbst ist derjenige, der an den Fäden der Marionetten zieht.
In welche Richtung zieht er denn?
Eindeutig zurück. Unter Jelzin verlief die Entwicklung in Richtung Demokratie – wenn auch nicht gradlinig, aber dennoch ging es vorwärts. Heute geht es nur noch zurück.
Dazu passen dann ja wohl auch die jüngsten so genannten Reformvorschläge. Künftig sollen die Gebietsgouverneure vom Kreml ernannt werden, für die Duma soll nur noch das Verhältniswahlrecht gelten.
Juristen sind der Auffassung, dass, wenn diese Vorschläge wirklich Gesetz werden, sieben Artikel der Verfassung verletzt werden. Das ist ein Verfassungsumsturz. Wenn man sich ansieht, wie schnell diese Vorschläge nach den Ereignissen von Beslan in der Duma eingebracht wurden, wird klar, dass sie schon lange in der Schublade gelegen haben müssen. Der Kreml baut eine neue Vertikale der Macht auf. Damit die auch wirklich funktioniert, fehlt eben nur noch, dass auch die Gebietsgouverneure Kreml-Leute sind. Der nächste Schritt wird sein, dass auch die Bürgermeister zentral ernannt werden. Zudem hat der FSB bereits vielfältige Erfahrungen in der Kontrolle und Manipulation der Wahlen zu den lokalen Parlamenten. Und es wird noch einfacher, wenn nur einer einzige Partei Kandidaten aufstellt.
Seit Jahren versucht der Kreml, Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtler zu domestizieren und in diese Vertikale einzubinden. Wie weit ist er damit gekommen ?
Derzeit wird über eine Neuregelung der Besteuerung von NGO beraten. Ausländische Stiftungen müssen zudem auf die Erlaubnis einer staatlichen Kommission warten, bevor sie Spenden verteilen können. Überhaupt: Die neue Taktik besteht darin, Widersacher nicht mehr zu verfolgen, sondern Parallelstrukturen aufzubauen, die ähnliche Bezeichnungen haben.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel gefiel dem Staat die Arbeit des Journalistenverbandes nicht. Also wurde die so genannte Medienunion ins Leben gerufen. Sie wird vom Sohn eines FSB-Generals geleitet. Dann gefallen Putin einige Menschenrechtsorganisationen nicht. Deshalb gründete der Kreml Anfang des Monats ein „Internationales Zentrum zur Verteidigung der Menschenrechte“. Wenn jetzt noch jemand, auch aus dem Westen, kommt, um die Menschenrechtssituation in Russland zu kritisieren, können die Behörden sagen: Was wollt ihr, wir haben sogar ein Menschenrechtszentrum eingerichtet.
Der Westen hält sich mit Kritik an Putin ohnehin weitgehend zurück.
Wenn ich mit Politikern oder Diplomaten spreche, habe ich den Eindruck, dass sie genau verstehen, was in Russland vorgeht. Doch die Politik verschließt trotzdem die Augen. Das ist alles ein Geschäft: Ihr mischt euch nicht in unsere inneren Angelegenheiten ein und im Gegenzug bieten wir euch ein gutes Investitionsklima. Außerdem ist Deutschland ja ein Freund Russlands, schließlich hat Putin dort gedient.
Was bedeutet dieser Schlingerkurs für Ihre Arbeit als Menschenrechtler?
Das macht mir meine Arbeit eigentlich unmöglich. Dass ich jetzt in Freiheit bin, ist zu 90 Prozent dem Druck und der Einflussnahme westlicher Organisationen und Führungspersönlichkeiten zu verdanken. Deshalb ist es besonders schwer, wenn gerade in so einer entscheidenden Phase wie jetzt westliche Organisationen Russland keine Aufmerksamkeit schenken. Wir werden aber trotzdem weiterkämpfen, und wenn es sein muss im Untergrund. Einen anderen Ausweg gibt es nicht.
Von der russischen Zivilgesellschaft ist derzeit kaum noch etwas zu sehen. Gibt es Anzeichen, dass sich das in naher Zukunft ändert?
Das sehe ich überhaupt nicht. Es gibt Dinge, die jeder Einzelne für sich entscheiden muss. Entweder eine besser bezahlte Arbeit finden oder zumindest die zu behalten, die man hat. Staatsbedienstete bekommen jetzt sehr hohe Gehälter. Jeder von ihnen muss ein Mitglied von Putins Partei „Einiges Russland“ sein. Daraus folgt eine Wechselbeziehung: Willst du eine gute Arbeit mit gutem Lohn, musst du für „Einiges Russland“ stimmen und Putin unterstützen. Dann die Angst vor den Terroristen. Was zum Teufel interessieren mich Ökologie oder Menschenrechte, wenn die Terroristen vielleicht schon morgen die Schule meiner Kinder in die Luft sprengen?
Menschenrechtler haben generell kein Ansehen?
Die Verteidigung von Menschenrechten ist etwas für Verrückte und Einzelkämpfer. Bei uns zeichnen die Massenmedien das Bild von vollkommen Verrückten. Nehmen Sie Sergej Kowaljow. Für mich ist er eine Autorität, aber nur, weil ich ihn persönlich kenne. Den normalen Bürger kann Kowaljow mit seiner Art zu sprechen nicht für sich einnehmen. Das ist auch das große Minus der Menschenrechtler: Unter ihnen gibt es keine neuen Gesichter, keine neuen Führungspersönlichkeiten und keine jungen Leute.
Sie geben heute die Zeitschrift Ökologie und Recht heraus, die vor allem Umweltprobleme thematisiert. Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie?
Natürlich wird Druck auf uns ausgeübt, doch das betrifft vor allem den Zugang zu Informationen. Ein Beispiel: Ich rief im Ministerium für Naturressourcen an und bat darum, mich für eine Pressekonferenz des Ministers zu akkreditieren. Mir wurde die Akkreditierung verweigert, mit der Begründung, der Saal sei zu klein. Aber, so wurde weiter gesagt, wenn Sie unseren Informationsdienst abonnieren, für 300 Dollar im Monat, werden wir für Sie einen Platz finden …
Welches Interesse haben die Russen überhaupt an ökologischen Themen?
Die Menschen interessieren sich für Ökologie nur dann, wenn ein Bulldozer hinter ihrem Haus auffährt und anfängt Bäume zu roden. Dann schreien sie, gehen auf die Straße und rufen mich zu Hause an. Mit unserer Zeitung haben wir ein halbes Jahr lang gegen Pläne des Moskauer Bürgermeisters Luschkow gekämpft, durch die Stadt eine Straße zu bauen, der viel Wald zum Opfer gefallen wäre. Wir haben viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht, uns an die Gerichte gewandt und die Straße wurde nicht gebaut. Aber glauben Sie etwa, das war ein Erfolg der Ökologen? Die Behörden sagten am Ende, die Straße würde wegen Geldmangel nicht gebaut. Die Leute beruhigten sich sofort. In einem Land, wo viele Eltern nicht wissen, wo sie das Geld für die Schulkleidung hernehmen sollen, rangiert die Ökologie auf der Prioritätenliste ganz unten.