: Der Chef brüllt schon wieder so
Hitler, ein Meister des Schnapplauts: Mit „Der Untergang“ haben Bernd Eichinger und Oliver Hirschbiegel die letzten Tage des Dritten Reiches verfilmen wollen. Herausgekommen ist ein Hybride aus Überwältigungsdrama und Sekretärinnenperspektive
VON DIEDRICH DIEDERICHSEN
Fahl funzelt elektrisches Notlicht durch den Führerbunker. Wütend wummert russische Artillerie über Berlin. Alexandra Maria Lara schlägt ihre Antje-Buschschulte-Augen auf und hat Angst. Sie spielt Hitlers bayrischstämmige Sekretärin Traudl Junge. Vieles stimmt hier nicht in letzter Zeit. Der Chef schreit und brüllt die Generäle zusammen. Von Selbstmord wird geflüstert. Die Wachsoldaten saufen, Eva Braun tanzt auf den Tischen. Und wenn der Führer seine Ausfälle gegen die Juden hat und keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen verspricht, schaut die Kamera auf Alexandras Angstgesicht. „Was ist nur mit ihm los“, scheint sie zu denken. „Früher war der ganz anders.“
Kurz bevor „Der Untergang“ von Oliver Hirschbiegel der deutschen Presse gezeigt wurde, war ein so seltsamer wie lesenswerter Text in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen. Über zwei Seiten steigt dort eine Atmosphäre auf, die der grünlichen Gruselstimmung im Bunker nicht unähnlich ist. Wütend ergehen Befehle, leidenschaftlich wird ihnen widersprochen, sensibel werden gewichtige Deutungen wie „Weltbürgerkrieg“ souffliert: Bernd Eichinger, der Produzent und Drehbuchautor, und seine Ex, Corinna Harfouch, haben den FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in ihr Hauptquartier eingeladen und legen in schonungsloser Offenheit ihre politischen Dissense und künstlerischen Ambitionen auf den Tisch. Der Chef der Unterhaltungsindustrie und der Chef des Feuilletons, dazu die Großmimin bei der kleinen Lage. Es ist ein Treffen von Machtmenschen, die sich für andere Machtmenschen interessieren, und manchmal gruselt’s ihnen davor. Dann wieder fühlen sie sich, genau wie der Führer, der im Film mindestens fünf ausführliche Szenen lang gegen die Verräter belfert, von Feinden umzingelt: „Viele, sehr viele Leute haben mir gesagt: Diesen Film darfst du nicht machen! Sie werden dich steinigen!“
Eichinger beschreibt sein Interesse an Hitler als Generationengeschichte. Ihn beschäftige die Parallele zwischen den deutschen Volksgenossen und den studentenbewegten 70er-Jahren. „Als die Leute […] die Mao-Bücher hochgehalten haben, war schon klar, daß Mao […] fünfzehn, zwanzig Millionen Leute umgebracht hat.“ Eichingers anderes Interesse ist natürlich der Mensch Hitler („Geschichte von den Personen her verstehen“). Die bewährte deutsche Mischung von vor 68: Totalitarismustheorie plus Hitler-Psychologie.
Der Film sieht allerdings eher so aus, als hätte man ihn vor allem um drei Schauspieler herum gedreht, die sich in einem zeitgeschichtlichen Großstück ein Denkmal bauen sollen. Eingebettet in ein Ensemble aus Edel-TV-Chargen und umdonnert von Kriegsfilm-Außenaufnahmen in sauberen und oft gesehenen Hollywood-State-of-the-Art-Bildern. Die Soundregie vervollständigt den Hybriden aus einem Überwältigungsdrama, wie es sich für große Untergänge ziemt, und der intimen Intensität der kleinen Lage, in der die Sekretärinnenperspektive dominiert: Hoffentlich brüllt der Chef nicht wieder so.
Die erste der Schauspieler ist die Lara, die jung und unschuldig die deutsche Hoffnung verkörpert. Am Schluss schlägt sie sich mit einem blonden Jungen an der Hand in mildem Sonnenlicht durch russische Reihen, und als sie ein Fahrrad finden, ist alles wieder gut. Die Uniform hat sie gegen ein properes Mädchenkleid getauscht, und nun geht es – heißa – durch Brandenburg gen Westen. Nur noch 9 Jahre bis zum Wunder von Bern.
Corinna Harfouch ist Magda Goebbels. In „Der Untergang“ bekommt sie eine historische Wichtigkeit, die nur durch die Schauspielerin und ihre Faszination für die Rolle einer großen Bösen erklärt werden kann. Die Ermordung der hilflosen kleinen Goebbels-Kinder, die ihre Mutter immer so schön zu deutschen Chören aufstellt, sodass sie die untergehende Umgebung mit einstudierten Volksliedern belästigen, ist im Film das zentrale Verbrechen des Dritten Reichs. Das muss man gar nicht verharmlosend finden. Das Genre des aufgebrezelten Geschichts-Fernsehspiels ist ohnehin in jeder Sekunde und unabhängig vom Plot eine einzige Verharmlosungsorgie, jedenfalls wenn man ihm ernsthaft den Anspruch einer „historischen Rekonstruktion“ (Spiegel) zutraut. Oder einen künstlerischen: Die bloße Idee, ein Hitler und Goebbels seien für eine „Tragödie“ (Schirrmacher) geeignet, also ein Genre, das notwendig irrende, scheiternde, aber eben doch menschliche Menschen voraussetzt, wie sie hier denn auch groß und gefasst in ihre Tode gehen, wäre mit „Verharmlosung“ verharmlost.
Aber auch wenn man sich damit abfindet, dass Deutschland seinen Fernseh-Hitler braucht, bleibt es schrill und abwegig, in all dem Hinrichtungsfuror und Kriegsgeballer einen Ruhepunkt ausgerechnet rund um diese bürgerlichen Bettchen zu setzen und zu hoffen, damit eine Empathie zu wecken, die man für die üblichen Opfer nicht hinkriegt. Es lässt sich nur mit der Notwendigkeit erklären, ein Vehikel für die Harfouch herbeizaubern zu müssen. Die bigotte Rabenmutter! Die schluchzende, „glücklichste Deutsche“, die der schon ganz todesbrummige Führer sich vom Mantel zupfen muss wie eine manische Motte.
Schließlich der Chef! Bruno Ganz gibt ihn sozusagen dreischichtig. Unten ist es ganz schnöde Hitler-Imitation. Millionen Familienväter haben das in den ersten Nachkriegsjahrzehnten zu vorgerückter Stunde gezeigt. Walter Moers hat dafür in „Adolf, die Nazisau“ die korrekte Umschrift eingeführt: Alle Vokale werden zu Umlauten, im Zweifelsfall ein Ö. Über dieser Schicht liegt als zweite der Meister cholerischer Schnapplaute, des von einschlägigen Tondokumenten bekannten Crescendos zum Kindererschrecken. Bruno Ganz ist Iffland-Ring-Träger genug, um sich diese Chance nicht entgehen zu lassen. Die klaustrophoben kleinen Bunker-Buden bläst er mit großem Geknatter zur angemessenen Arena arischer Apokalypsen auf. Das übertönt mühelos sowjetisches Sperrfeuer.
Aber über dieser Schicht liegt noch ganz zart und sehr kunstvoll eine Streichfettglasur aus schwyzerdütscher Sprachtönung, die hier lustigerweise für den Realitätsverlust steht und mit den Parkinson-Manierismen korrespondiert, die auf die vielen Drogen verweisen, die durch die Adern dieses großen bösen kranken Mannes geflossen sind. Diese leichte Schweizer Tönung ist indes nicht nur der Code des Wahnsinns, sondern sie zaubert auch die verschüttete Güte, ja Menschlichkeit hervor, die gerade die jungen Frauen und die Hunde in der Umgebung des Führers so oft erfahren haben.
Seine Stärken entfaltet der Film in den Nebengeschichten des Bunkers, nicht im zerstörten Berlin drum herum. Einen locker flutschenden Reigen von Reichsverzweifelten und Untergangsirren, die ihre aus dem Fernsehen bekannten Gesichter kurz reinhalten. Es sind die mittleren Ränge, in dichter Folge durch die Ereignisse gescheucht, Generäle und Gesandte, die hier Niveau und Format der flotten Fernsehunterhaltung garantieren: Heino Ferchs Bittermandel von einem Albert Speer. Oder Ulrich Matthes, wie er seinem Goebbels immer dann feine Dosen rheinischen Akzents in die Rede spritzt, wenn der besonders dämonisch wird. Michael Mendl wird zur schillernden Allegorie der „Sekundärtugend“, wenn er seinen Haudegen-mit-menschlichen-Zügen mit genau den Mitteln spielt, mit denen er seit Jahrzehnten ununterbrochen seine knarzigen Väter, Bundeskanzler und Kommissare auf den Bildschirm brummt. Und Christian Berkel errichtet als der liebe SS-Arzt Schenck sogar ein weiteres Zentrum inmitten des Films, ein moralisches.
Doch das ist gegen die Intention des Produzenten – der will keine Moral. Schirrmacher fragt ihn, den Hauptfeind hinter möglichen Steinigern ausspähend: „Was ist mit Einwänden – die stammen vor allem von den 68ern –, daß Unterhaltung und Aufklärung nicht zusammengehen?“ Tja, wie ist es damit? Falsche Gegensätze, wenn du mich fragst. Unterhalten werde ich ja erst, wenn man mich überrascht mit Perspektiven, auf die ich von alleine nicht gekommen wäre, die ich aber dennoch triftig finden kann. Das wäre Aufklärung. „Unterhaltung“ ist nicht unterhaltsam. Man entwickelt allenfalls eine ironische Hornhaut gegen dieses Fernsehen, einen Sinn für die rundum unwichtige, aber ornamental reizvolle, permanente Hin-und-Her-Gruppierung der immergleichen Bilder und Gesichter.
Eichinger aber ist es Ernst: „Ich verachte viele dieser sogenannten 68er, weil sie verlogen bis in die Knochen waren […] Da ist nichts, aber auch gar nichts Gescheites dabei herausgekommen.“ Er kennt sich nämlich aus. Und fordert: „Man sollte die Moral einfach rauslassen. Die Moral hat noch niemandem gut getan.“ Nun ist die Reduktion auf moralische Fragen tatsächlich nicht hilfreich, wenn man eine politische Analyse anstrebt. Vor allem dann, wenn die moralische Frage geklärt ist, gibt es mehr zu wissen, als wer gut und böse ist. Wenn man denn eine bessere Frage hat. Die von Moral dominierten Analysen der geschmähten 68er wollten wenigstens wissen, wie die Barbarei politisch möglich ist. Und konnten zeitweilig einen fragilen, nie selbstverständlichen moralischen Konsens in Deutschland herstellen. Statt aber andere Fragen zu stellen, belässt es „Der Untergang“ bei der Psychologie der Fernsehunterhaltung. Die hat aber längst eine strukturelle Moral. Allerdings eine, die sich an keine historischen Einsichten mehr andocken lässt, sondern nur an Kategorien wie Rabenmutter oder an die Autorität eines SS-Arztes, der die Kräfte des menschlichen Deutschlands da um sich sammelt, wo schon lange das ideologische Zentrum der deutschen Fernsehunterhaltung steht: im Krankenhaus.
„Der Untergang“, Regie: Oliver Hirschbiegel. Mit Bruno Ganz, Corinna Harfouch u. a. Deutschland 2004, 155 Min.