press-schlag : Besuch von den Fitness-Gurus
Ein gutes Spiel gegen Brasilien wäre wichtig für den innovationsfreudigen Bundestrainer Klinsmann
Wenn man Jürgen Klinsmann dieser Tage in Berlin herumspringen sieht, dann sprüht er stets vor guter Laune. Das ist natürlich nichts Ungewöhnliches beim neuen Bundestrainer, aber vor dem Länderspiel gegen Brasilien am Mittwoch im Olympiastadion wirkt sein Grinsmann-Grinsen noch beschwingter, und seine gesamte Körpersprache scheint pure Wonne darüber auszudrücken, dass gleich im zweiten Länderspiel unter seiner Oberhoheit die so genannte WM-Revanche auf dem Programm steht – auch wenn dieser Terminus in den EM-Nachwehen etwas kurios wirkt.
Es ist ein sehr wichtiges Match für Klinsmann und seinen neuen Stab. Ein Sieg oder Unentschieden gegen den Weltmeister wäre quasi das Siegel unter der neuen Optimismusdoktrin, mit der er sein Amt angetreten hat. Eine ehrenvolle Niederlage würde den Normalfall darstellen. Nur eine Klatsche mit drei oder mehr Toren Unterschied darf nicht sein. Dann wäre abrupt Schluss mit der Euphorie, der EM-Blues würde neu aufgelegt, das Geschwätz vom WM-Titel 2006 klänge noch hohler, und all jene bekämen Oberwasser, denen Klinsmann in seiner kurzen Amtszeit bereits auf den Schlips getreten ist. In erster Linie sind das jene Leute im DFB, die bisher das Sagen hatten, und die Bundesligavereine.
Felix Magath zum Beispiel, der bei den Münchner Bayern einen äußerst restriktiven Kurs der Nationalspieler-Abstellung verfolgt. Zu spüren bekamen das vor allem Lucio und Ze Roberto, denen mit bemerkenswerter Instinktlosigkeit die Teilnahme am weltweit beachteten Friedensspiel der Brasilianer in Haiti verwehrt wurde. Zur Strafe sind beide am Mittwoch nicht im Kader, denn Brasiliens Trainer Alberto Parreira macht die Spieler selbst für ihre Absenz verantwortlich, sie hätten eben nicht genug Druck auf ihren Klub ausgeübt. Damit trägt er mächtig Konfliktstoff in die Vereine oder schürt vorhandenen. Siehe Lucio. Im Fall Deisler und Görlitz biss Magath diesmal bei Klinsmann auf Granit, nachdem der Bundestrainer beim Österreich-Spiel noch wunschgemäß auf die beiden verzichtet hatte. Eine Botschaft an die Bundesligisten, dass Klinsmann längst nicht so viel Rücksicht auf ihre Belange nehmen wird wie Vorgänger Rudi Völler.
Für weitere Zwistigkeiten dürften auch die Fitnesstests sorgen, die Klinsmann am Samstag in Berlin von Spezialisten aus Arizona bei den Nationalspielern vornehmen ließ. Hertha-Manager Dieter Hoeneß ließ mit seinem Vorwurf der „Amerikanisierung“ den Unmut der Branche erkennen. Durchgeführt wurden die Tests von der Firma AP – was mitnichten „attraktiv und preiswert“ heißt, sondern „Athletes’ Performance“ – Bewegungs- und Geschicklichkeitsproben, die, wie DFB-Sportmediziner Tim Meyer zugab, bisher nicht üblich waren.
AP ist eines jener Unternehmen in den USA, die Spitzensportlern und solchen, die es werden wollen, eine umfassende Leistungsdiagnostik verkaufen, gefolgt von entsprechenden Trainingsprogrammen, die sämtliche Bereiche vom Krafttraining über Geschicklichkeitsschulung, Massagen, psychologische Betreuung, Chirotherapie bis zu einer auf Bluttests basierenden Ernährung umfassen. All das, was zum Beispiel auch das inzwischen berüchtigte Balco-Labor in Kalifornien anbot, das jedoch vor allem auf den Verkauf eines zinkhaltigen Nahrungsergänzungsmittels spezialisiert war, und, wie sich zunehmend herausstellt, auf die Verabreichung illegaler Substanzen. Von solchen Dingen distanziert sich Athletes’ Performance, auch durch Mitwirkung an einem Programm, das die Reinheit von Nahrungsergänzungsmitteln sicherstellen soll – nicht allerdings nach den strengeren Standards der Weltantidopingagentur Wada, sondern denen der National Football League (NFL). Wie Victor Contes Balco wird auch Athletes’ Performance von einem charismatischen Fitnessguru, Mark Verstegen, geleitet und wirbt mit den Erfolgen seiner Kunden. Bei Balco waren es Marion Jones und Homerun-Rekordler Barry Bonds, bei AP sind es die US-Fußballerinnen um Mia Hamm, der jüngst von Houston nach Orlando geschickte Basketballer Steve Francis, der in Arizona seine „Flexibilität“ verbesserte, der Eishockeytorhüter Nikolai Khabibulin oder Baseballstar Nomar Garciaparra, der von sich sagt, er sei ein Hänfling gewesen, und nun auf dem Cover von Sports Illustrated als Muskelprotz posierte.
Bei der Akquirierung der Fitnessspezialisten hat der Bundestrainer seine geschäftlichen Verbindungen spielen lassen, denn AP ist eng mit der Anschütz-Gruppe verbunden, Arbeitgeber von Klinsmann in seiner Funktion als Berater beim Fußballteam Los Angeles Galaxy. Die Gelegenheit, sein Produkt in Europa zu präsentieren, ließ sich Verstegen natürlich nicht entgehen, die Frage ist jedoch, was mit den Ergebnissen der Tests anzufangen ist. Ergeben sie keine bemerkenswerten Defizite, wären sie ziemlich überflüssig, stellen sich die deutschen Nationalspieler aber als extrem bewegungsgestört und ungeschickt heraus, gäbe es ein Problem. Was für amerikanische Sportstars überaus sinnvoll ist, nämlich in den langen Saisonpausen selbstständig bei AP oder anderswo an ihren Mängeln zu arbeiten, ist beim DFB-Team natürlich nicht zu leisten. Das müssten die Vereine übernehmen, die aber zunächst mal mächtig bloßgestellt wären und vermutlich wenig kooperativ. DFB-Doktor Tim Meyer empfahl, „die Kirche im Dorf zu lassen“, man müsse nicht gleich alles revolutionieren. Der Bundestrainer sieht das erklärtermaßen anders. Ein gelungener Auftritt gegen Brasilien wäre eine gute Argumentationshilfe. MATTI LIESKE