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Archiv-Artikel

„Mit Gewalt ist der Tschetschenienkonflikt nicht zu lösen“

Rudolf Bindig, Tschetschenien-Experte der SPD, wünscht sich einen besser informierten Kanzler, der Wladimir Putin klare Ansagen macht: „Moskau muss verhandeln“

taz: Gerhard Schröder hat bei dem deutsch-französisch-russischen Treffen in Sotschi den Verlauf der Präsidentenwahlen in Tschetschenien als akzeptabel bezeichnet. Leidet der Kanzler an verzerrter Wahrnehmung?

Rudolf Bindig: Ich hoffe, die Berater des Kanzlers werden ihn noch über den wahren Charakter der so genannten Wahlen in Tschetschenien informieren.

Der Tschetschenienkonflikt insgesamt wurde ja in Sotschi weitgehend ausgespart. Was ist der Grund für diese diplomatische Zurückhaltung?

Andere Themen globaler Zusammenarbeit haben dort leider die Oberhand gehabt. Der Konflikt hätte aber bei diesem Treffen Thema sein müssen. Es hätte gegenüber Putin ganz klar zum Ausdruck gebracht werden müssen, dass die Vorgehensweise der russischen Sicherheitskräfte in Tschetschenien mit den schweren Menschenrechtsverletzungen vollkommen unakzeptabel ist für ein Land, das einen festen Platz im Kreis der westlichen Demokratien will.

Drei Anschläge mit über hundert Toten in einer Woche und jetzt auch noch die Geiselnahme in Nordossetien. Haben wir es mit einer neuen Qualität des Terrors in der Russischen Föderation zu tun?

Hierbei handelt es sich eindeutig um eine neue Strategie, die die Rebellen bereits vor Monaten angekündigt hatten. Damals hieß es, man werde jetzt zu massiveren, größeren Operationen übergehen, besonders in Zusammenhang mit dem Wahltermin.

Wie sollte sich der Westen angesichts dieser neuen Strategie gegenüber Russland verhalten?

Wichtig ist zunächst, den tschetschenischen Widerstand differenziert zu sehen. Es muss sorgfältig unterschieden werden zwischen terroristischen Gewaltakten, die vollkommen unakzeptabel sind, und den Ziele der nationalistischen Kräfte, die auf eine größere Unabhängigkeit Tschetscheniens gerichtet sind. Was die internationale Gemeinschaft angeht, so sollten sowohl die Staats- und Regierungschefs als auch die EU und die OSZE der russischen Seite unmissverständlich klar machen, dass eine Lösung des Konflikts mit Gewalt nicht erreichbar ist. Vielmehr muss Moskau mit den dazu fähigen und bereiten Kräften der Tschetschenen verhandeln. Dazu gehören in jedem Fall auch die Kräfte um den legitimen Präsidenten Aslan Maschadow.

INTERVIEW: BARBARA OERTEL