: Aidsmedikamente bleiben teuer
„Historisches Abkommen“ über billige Mittel ist bislang ein totaler Flop. Kaum Anbieter, USA schließen eigene Verträge, und bedürftige Entwicklungsländer melden sich nicht an
In Geburtstagslaune ist bei der Welthandelsorganisation (WTO) heute niemand. Dabei feierte man dort vor genau einem Jahr ein „historisches Abkommen“. So bejubelte WTO-Generalsekretär Supachai Pantichpakdi den Kompromiss im Streit über Patentschutz und den Zugang der armen Länder zu billigen Medikamenten. „Das beweist ein für alle Mal, dass die Organisation mit humanitären Belangen ebenso umgehen kann wie mit Handel“, meinte er damals.
Doch ein Jahr später ist die Bilanz ernüchternd. „Ich glaube nicht, dass der Zugang zu Medikamenten besser geworden ist“, erklärt Pascale Boulet, Rechtsexpertin von Ärzte ohne Grenzen.
Der Kompromiss vom 30. August 2003 sollte es armen Ländern ermöglichen, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit so genannte Generika zu importieren. Generika sind Nachahmerprodukte, die meist sehr viel billiger angeboten werden als die patentgeschützten Originale. Durch diesen Preisvorteil sollten mehr Menschen mit lebensnotwendigen Medikamenten gegen Aids, Malaria, Tuberkulose und andere Krankheiten versorgt werden. Der Kern der Neuregelung: Sowohl das importierende als auch das exportierende Land stellt eine so genannte Zwangslizenz aus, die zum Verstoß gegen den Patentschutz berechtigt.
Doch dieser neue Mechanismus wurde bisher nicht ein einziges Mal genutzt. Nur zwei Länder haben ihr nationales Patentrecht an die neue WTO-Regel angepasst: Norwegen und Kanada. So erlaubt Norwegens neues Patentrecht den Export von Generika in Entwicklungsländer. Es bleibt jedoch ohne Wirkung: In Norwegen gibt es keine Hersteller von billigen Medikamenten.
In Kanada dagegen hatten die Lobbybemühungen der pharmazeutischen Industrie Erfolg. Das kanadische Gesetz enthält eine Liste mit Medikamenten, die als Generika exportiert werden dürfen. Nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen fehlen darauf jedoch die wichtigsten Medikamente zur Behandlung von Aids. Eine Richtlinie der EU zum Export von Generika lässt noch auf sich warten.
Doch auch die Entwicklungsländer, die selber keine Arzneimittel produzieren können, haben es bisher nicht geschafft, sich bei der WTO als Nutzer des Mechanismus anzumelden. Für Cecilia Oh von der Weltgesundheitsorganisation liegt das an der viel zu großen Komplexität des WTO-Mechanismus. „Wenn man in einem krankheitsgeplagten Entwicklungsland Generika importieren will, dann braucht man nicht nur einen Käufer im Inland und einen Verkäufer im Ausland, sondern auch die jeweiligen Regierungen, die eine Zwangslizenz ausstellen.“ Gerade in armen Ländern mit wenig Erfahrung im Patentrecht sei diese Koordinierung eine schwierige Aufgabe.
Für einige Länder ist die neue Möglichkeit, Generika zu importieren, jedoch schon ein Jahr nach dem WTO-Vertrag Geschichte. Guatemala und andere zentralamerikanische Staaten haben im Mai ein Freihandelsabkommen mit den USA geschlossen. Die hohen Standards für Patentschutz, die diese Abkommen vorschreiben, blockieren den Zugang zu billigen Medikamenten. Das macht nach Ansicht von Ärzte ohne Grenzen den Erfolg vom letzten Jahr für all jene lateinamerikanischen und afrikanischen Länder zunichte, die mit den USA solche Freihandelsabkommen abschließen.
NIKOLAI FICHTNER