: Aids: Hohe Sorglosigkeit beunruhigt Ärzte
Ostdeutsche sind die neue Risikogruppe für HIV-Infektionen. Ulla Schmidt rügt „nachlassendes Schutzverhalten“
BERLIN taz ■ Sie werden aufgeklärt, seit sie lesen können, und greifen doch nicht zum Kondom: Junge Ostdeutsche sind die neue HIV-Risikogruppe, hat der Arbeitskreis Aids der niedergelassenen Berliner Ärzte festgestellt. „Die hohe Sorglosigkeit lässt uns aufschrecken“, sagt Vorstandsmitglied Bernhard Bienik. Auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) kritisierte das „nachlassende Schutzverhalten“.
Die Aidsaufklärung hat ein Ost-West-Problem, meint Bienik. Den Westlern säße seit den Achtzigern „der Schreck in den Gliedern“. Dass die Infokampagnen bisher nicht mit Abschreckung gearbeitet hätten, sei für diese Zielgruppe richtig. Der Osten aber habe „die Apokalypse der schwulen Community in den Achtzigern“ nicht so miterlebt. Sie brauchten Aufklärung, die auch Furcht schürt. Vor allem müsse sie verdeutlichen: Auch mit den neuen Pillencocktails bleibt Aids eine Bürde, die die Lebensqualität für immer senkt.
Noch haben die Berliner Ärzte wenig Studien, die ihre Beobachtung wissenschaftlich abstützen. Sie berufen sich auf ihren Praxisalltag. Einiges immerhin kann auch das Robert-Koch-Institut bestätigen: In Ostdeutschland steigt die Zahl der HIV-Erstdiagnosen homosexueller Männer stärker als in anderen Regionen. In diesem Jahr könnten sich doppelt so viele ostdeutsche Schwule mit Aids infizieren als noch ein Jahr zuvor, so die Prognose des Instituts. Auffällig sei zudem, dass sich im Osten überdurchschnittlich viele junge Homosexuelle mit dem Virus anstecken. Bundesweit hingegen gilt: Immer weniger Alleinstehende unter 45 Jahren benutzen in Risikosituationen ein Kondom.
Immerhin: Die staatlichen Mittel für die Aidsaufklärung bleiben trotz der schwierigen Haushaltslage konstant, versicherte Ministerin Schmidt. 9 Millionen Euro jährlich lässt sich Deutschland die Infokampagnen kosten. 300 Millionen Euro fließen in einen Fonds, der der Aidsbekämpfung in Osteuropa und Zentralasien dient.
Die Aidskatastrophe in Osteuropa eindämmen, die Teenager hierzulande besser aufklären, das ist das Ziel. Denn noch sind 16 Prozent der Jugendlichen überzeugt: Eine HIV-Infektion sieht man einem Erkrankten an.
COSIMA SCHMITT