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Archiv-Artikel

„Die Zeit der Solidarität ist vorbei“

Die Konkurrenz um knapper werdende Gelder wird doch überall härter

INTERVIEW DANIEL SCHULZ

taz: Herr Platzeck, Sie waren in der DDR Bürgerrechtler. Was bedeutet es für Sie, dass es jetzt wieder Montagsdemos gibt?

Matthias Platzeck: Um den Namen Montagsdemo werde ich hier nicht streiten. Wir haben damals das Recht auf Meinungsfreiheit erkämpft und das ist nicht auf Wochentage beschränkt. Ich finde es richtig und gut, dass Leute rausgehen und ihre Meinung sagen. Lieber habe ich jetzt diese offene und manchmal harte Diskussion, als dass ich später in einer Umfrage lesen muss, dass die Demokratie nur noch von der Hälfte der Ostdeutschen als sinnvolle Gesellschaftsordnung angesehen wird.

Sie finden es toll, dass gegen Sie demonstriert wird?

Es wird gegen Hartz IV demonstriert. Das ist ein Gesetzeswerk, das alle wesentlichen Parteien im Bund mitbeschlossen haben. Mich ärgert, dass die Verantwortlichen zu wenig und andere, wie etwa die Bild-Zeitung, unverantwortlich falsch informiert haben.

Sie sagen, die Ostdeutschen demonstrieren nicht wegen Hartz IV, sondern weil sie sich als Menschen zweiter Klasse fühlen.

Die Menschen im Osten sind erstklassig. Was sie in den letzten 15 Jahren geleistet haben, zeigt, dass sie sich in Sachen Flexibilität, Mobilität und Kreativität nichts vorwerfen lassen müssen. Aus dem Westen gekommene Unternehmer bestätigen das. Wenn sie dann aber über sich lesen müssen, der Aufbau Ost sei gescheitert, die Milliarden sinnlos im Osten versenkt, dann zeugt das von mangelnder Achtung und mangelndem Respekt vor der Aufbauleistung Ost. Und dagegen wehren sich die Menschen.

Und Sie persönlich, fühlen Sie sich als Ministerpräsident zweiter Klasse? Wenn Sie versuchen, sich gegenüber der rot-grünen Regierung durchzusetzen zum Beispiel?

Ich bin da nicht so empfindlich und ich mache den Mund auf, wenn mir etwas nicht passt. Selbstmitleid wäre auch ein Fehler, das würde ich nicht zulassen. Das wird gnadenlos ausgenutzt. So hart sind nun einmal die Regeln. Aber ich hätte mir gewünscht, dass einige in Berlin diesen oder jenen Hinweis deutlicher und klarer und eher wahrgenommen hätten.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement zum Beispiel?

Hätten wir uns die Sonderregelung für Regionen mit über 15 Prozent Arbeitslosigkeit nicht erst erstreiten müssen, dann wäre uns mancher Ärger erspart geblieben. So musste es erst zum Kanzlergipfel kommen. Die Lehre daraus ist klar: Wir im Osten müssen noch selbstbewusster und klarer unsere Anliegen artikulieren. Bisher prägt der Westen das politische Denken und damit auch die Gesetze – nicht der Osten.

Denken Sie wirklich, es ist klug, immer wieder diesen Ost-West-Konflikt aufzumachen? Das kann doch im Westen keiner mehr hören.

Man merkt doch, dass der Konkurrenzkampf um knapper werdende Gelder überall härter wird. Die Zeiten der Warmherzigkeit und der Solidarität sind vorbei. Das hat objektive Gründe, da hilft kein Seufzen. Ich wünschte mir, es wäre anders, aber wir haben eigene Interessen. Hartz IV greift in Stuttgart ganz anders als in Prenzlau, wo es kaum neue Arbeitsplätze gibt. Ich will keinen Ost-West-Unterschied künstlich hochziehen, es gibt diesen Unterschied nun einmal. Ost und West können es nur gemeinsam schaffen, aber dafür muss auch auf die Unterschiede eingegangen werden. So ehrlich sage ich das.

Sind Sie denn ehrlich, wenn Sie immer wieder gegen Hartz IV schießen? Wollen Sie den Menschen im Osten sagen, Hartz IV sei noch zu kippen?

Das habe ich nie getan, denn es gibt keine Alternative zu Hartz IV. Wer das behauptet, versündigt sich, und das sage ich klar an die Adresse der PDS. Wer die Menschen auf die Straße bringt, muss ihnen auch einen Weg weisen. Das können weder die Populisten von der PDS noch die CDU-Kollegen, die jetzt meinen, davonrennen zu können.

Es ist einfach, der PDS Populismus vorzuwerfen. Die Sozialisten kümmern sich aber auch um die Menschen im Osten, helfen in ihren Basisbüros dabei, die Hartz-Bögen auszufüllen. Sind Sie nicht einfach neidisch?

Auch unser Sozialminister Günter Baaske reist durchs Land und berät die Menschen, andere Abgeordnete auch. Und das ist nicht nur auf den Wahlkampf beschränkt. Angefangen mit Regine Hildebrandt haben unsere Arbeitsminister versucht, die Härten für die Menschen hier erträglich zu machen. Die Rolle des Kümmerers gestehe ich der PDS nun wahrlich nicht zu. Sie sind in Brandenburg nicht in der Verantwortung, und wo sie es sind, wie in Berlin, da erkennen sie sogar Positives bei Hartz IV. Die PDS spielt mit der Verunsicherung der Menschen. Das mag ihr jetzt noch nutzen, doch das böse Erwachen kommt später. Darauf bin ich sicherlich nicht neidisch.

Also wollen Sie an Hartz IV nichts mehr ändern?

Wir sollten uns zum Beispiel die gegenseitige Anrechnung von Lebensversicherungen und Vermögen, also die Altersvorsorge, noch einmal ansehen. Und dann gibt es noch Fragen, die am Wegesrand einfach auftauchen wie das Bewerten von Ferienverdiensten von Kindern. Und außerdem werden wir sehr aufpassen müssen, dass uns die staatlich geförderten Jobs in den Kommunen nicht die Unternehmen kaputtmachen, die wir noch haben. Zu solch einer sachlichen Debatte sollten wir langsam alle zurückkehren, das hilft den Leuten mehr als das sphärische Spekulieren darüber, Hartz doch noch zu verhindern.

Auf dem Parteitag der Landes-SPD war zu hören, Brandenburg sei eine große Familie und Matthias Platzeck ihr Vater. Sie haben sogar von den guten Polikliniken in der DDR gesprochen Das erinnert an Ihren Vorgänger Manfred Stolpe und sein Wort von der „kleinen DDR“. Wollen Sie Brandenburg in die Zeit der gescheiterten Großprojekte zurückführen?

Zunächst ist eine Poliklinik kein Großprojekt. Zum anderen ist nachgewiesen, dass von den 50 in Brandenburg geförderten Großprojekten 47 hervorragend arbeiten. Der überwiegende Teil der Förderung geht aber längst an kleine und mittlere Unternehmen. Und die Sache mit den Polikliniken hat einen ganz pragmatischen Hintergrund. Auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat erkannt, dass es Geld spart, wenn mehrere Ärzte in Polikliniken unter einem Dach untergebracht sind, weil sie sich zum Beispiel ein Röntgengerät teilen. Und dass die Wege für die Patienten kürzer sind, ist doch auch gut. Das Erwähnen von Errungenschaften, die es früher hier gab, hat oft nichts mit Ostalgie zu tun, sondern mit Pragmatismus.

Am Anfang des Wahlkampfes sah es so aus, als würden viele Sozialdemokraten lieber mit der PDS als mit der CDU koalieren. Das hat sich geändert.

Die PDS hat sich mit ihrem populistischen Wahlkampf viele Sympathien in der SPD verscherzt und Leute vergrault, die bereit waren auf sie zuzugehen. Auf der anderen Seite hat es mit der CDU in den vergangenen 5 Jahren erhebliche Reibungsverluste gegeben, aber so ist das in der Politik.

Die PDS-Kandidatin Dagmar Enkelmann kennen Sie noch aus der Volkskammer und Herrn Schönbohm aus 5 Jahren Koalition. Und wem fühlen Sie sich persönlich näher?

Ach wissen Sie, mit Herrn Schönbohm kann ich arbeiten, mit Frau Enkelmann habe ich es noch nicht probiert.