mindestlohn : Armut schafft keine Arbeit
Angesichts der Montagsdemonstrationen hält Franz Müntefering den Gewerkschaften eine Mohrrübe hin. Bislang wollen der Gewerkschaftsbund und die großen Einzelgewerkschaften nicht so richtig mitmarschieren. Wenn es nach dem SPD-Vorsitzenden geht, soll das auch so bleiben. Im Gegenzug zur stillschweigenden Tolerierung von Hartz IV bietet Müntefering den Arbeitnehmervertretern daher einen gesetzlichen Mindestlohn an. Aber: Ob das Ansinnen ernst gemeint ist, scheint fraglich.
KOMMENTAR VON HANNES KOCH
Immerhin haben die rot-grünen Spitzen zusammen mit der Union unlängst selbst verordnet, dass Arbeitslose auch untertariflich bezahlte Jobs annehmen müssen. Das Kalkül: Dank staatlich erlaubten Lohndumpings schaffen Firmen zusätzliche Niedriglohn-Jobs. Die Bundesregierung setzt also auf die Polarisierung der Einkommensverhältnisse. Armut schafft Arbeit, heißt die Hoffnung.
Unterstellt, Müntefering wollte den Mindestlohn. Wo sollte er dann liegen? Mit 4 bis 7 Euro pro Stunde gibt der SPD-Chef selbst den Verhandlungsspielraum an. Man kann getrost davon ausgehen, dass Müntefering eher zum unteren als zum oberen Ende tendiert. Bei 4 Euro kommt ein Monatsverdienst von rund 640 Euro heraus – eine Größenordnung, die auf Sozialhilfeniveau liegt und über deren soziale Qualität man streiten kann. Dass die Vorstellungen der Regierung mit denen der Gewerkschaften deshalb nur schwer in Einklang zu bringen sind, dürfte auch dem SPD-Chef klar sein. Für ihn selbst könnte sein Vorschlag trotzdem positive Auswirkungen haben: Er soll die Debatte befrieden.
Anders gewendet, als es Müntefering vorschwebt, ergäbe die Mindestlohn-Debatte dagegen durchaus Sinn. Denn auch in Deutschland existiert eine faktische Untergrenze: die Sozialhilfe. Der Staat definiert damit ein Existenzminimum – und die Unternehmen wissen, dass sie mit noch niedrigeren Löhnen kaum eine Arbeitskraft finden. Dass diese Untergrenze mittlerweile vielen Menschen als zu niedrig erscheint, ist eine Botschaft der Demonstrationen gegen Hartz IV. Eine auskömmliche, menschenwürdige Grundsicherung für Arbeitslose einzurichten, die über dem Sozialhilfeniveau liegt, ist auch aus einem anderen Grund ratsam: Arbeitslosenzahlen in Millionenhöhe werden uns noch einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte begleiten. Durch die Verschärfung der Armut lässt sich die Massenarbeitslosigkeit nicht wegregieren.