irak/al-sadr : Gefährliche Ausweglosigkeit
Der irakische Geistliche Muktada al-Sadr steckt in einer prekären Lage. Er hat zwar angekündigt, die Imam-Ali-Moschee in Nadschaf zu räumen und die Milizionäre seiner „Mahdi-Armee“ zu entwaffnen. Ob er aber entsprechend handeln wird, ist zweifelhaft. Denn er steht vor der Wahl zwischen Pest und Cholera. Die Moschee ist von Soldaten und Sicherheitskräften umzingelt. Ein Entkommen ist kaum denkbar.
KOMMENTARVON BAHMAN NIRUMAND
Er kann nur hoffen, dass die Soldaten nicht den Mut finden, die Schwelle der Moschee zu überschreiten. Tatsächlich würde ein bewaffneter Kampf im wichtigsten Heiligtum der Schiiten nicht unwidersprochen bleiben – nicht im Irak und nicht in den Nachbarländern. Bereits am vergangenen Freitag haben hunderttausende in ganz Iran den Abzug der US-Truppen aus Nadschaf gefordert. Mehrere tausend Demonstranten haben ihre Bereitschaft erklärt, als „lebende Märtyrer“ nach Irak zu ziehen. Ohne Zweifel würde ein militärischer Angriff auf die Moschee die Lage Iraks erheblich verschärfen. Aber auch al-Sadr wird wohl wissen, dass solche weitsichtigen Argumente bei den USA und ihren Verbündeten kaum Gehör finden.
Was wäre aber al-Sadr, wenn er die ihm gestellten Bedingungen akzeptieren würde? Die Antwort lautet eindeutig: nichts. Selbst wenn seine Gegner Wort hielten und ihn und seine Kampfgefährten trotz der zahlreichen Opfer, die sie bislang versursacht haben, ziehen ließen, wäre ein al-Sadr ohne Waffen und Milizen ein Nobody. Denn als Geistlicher wird er sich gegen die großen Ajatollahs nicht behaupten können, ebenso wenig als Politiker gegen die bereits bestehenden politischen Parteien und Organisationen. Der Vorschlag, er solle seine „Mahdi-Armee“ in eine politische Partei umwandeln, ist völlig absurd. Denn seine Milizionäre, fundamentalistisch-religiös indoktriniert, können sich auf dem Schlachtfeld bewähren. Auf dem politischen Parkett wären sie gänzlich untauglich.
Al-Sadrs Aufgabe bestand bisher darin, die Pläne der USA und der irakischen Übergangsregierung zu durchkreuzen. In dieser Funktion erhielt er von ganz unterschiedlichen Kräften aus dem Irak und dem Ausland, die an einem Scheitern der Amerikaner im Irak interessiert sind, Unterstützung. Verliert er diese Funktion, wird kein Hahn mehr nach ihm krähen. In Anbetracht dieser Aussichten bliebe al-Sadr eigentlich nur noch der Märtyrertod. Keine gute Voraussetzung für eine diplomatische Lösung.