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Archiv-Artikel

Familienbild mit Hartz

VON HEIDE OESTREICH

Karin Clement ist Hausfrau, Mutter und Ministergattin. In die Verlegenheit, sich mit Arbeitsämtern oder Arbeitsagenturen auseinander zu setzen, ist sie seit ihrer Hochzeit nicht gekommen. Damit ist sie die perfekte Verkörperung der Maxime, die ihr Mann im Herbst 2003 für Ehefrauen ausgab: „Die Ehefrauen gut verdienender Angestellter oder Beamter akzeptieren einen Minijob oder müssen aus der Arbeitsvermittlung ausscheiden“, erklärte er zu seiner Arbeitsmarktreform. Karin Clement hat die Arbeitsvermittlung gar nicht erst in Anspruch genommen – während das Gesicht ihres überarbeiteten Mannes schon in verschiedenen Graustadien zu besichtigen war. So soll es sein.

Wer eine andere Lebensplanung verfolgt, wird in Zukunft die Zähne noch fester zusammenbeißen müssen. Arbeit umverteilen, Männer entlasten, Frauen in den Arbeitsmarkt, qualifizierte Teilzeit für alle – das gilt als Achtzigerjahre-Utopie einer verlorenen Generation von Arbeitsmarkthippies. Die hat zwar noch Eingang gefunden in rot-grüne Koalitionspapiere. Aber nirgendwo klafft die Lücke zwischen Anspruch und Realität der Regierungspolitik derzeit weiter auseinander als bei dem angeblichen Top-Zukunftsthema Familie-Kinder-Geschlechter. Den vollmundigen Versprechungen von Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung folgt die Realität leerer Kassen. Statt Männerentlastung gibt es die Debatte um die 45-Stunden-Woche. Den Sonntagsreden über das weibliche Potenzial, das der Arbeitsmarkt angeblich benötige, folgt – Hartz IV.

Einst hatten SPD und Grüne von „vollzeitnahen“ Teilzeitjobs für Männer und Frauen geträumt, die beiden eine Existenz mit Kindern bis in die Rente absichern. Die Hartz-Kommission (15 Männer, 1 Frau) hatte dagegen nur eines im Sinn: Die Arbeitslosenzahl muss runter. Und ein bewährtes Mittel lautete schon immer: Frauen raus aus der Statistik.

Christel Degen, Arbeitsmarktexpertin beim DGB, berichtet, dass Arbeit suchende Frauen, die dummerweise mit einem Arbeitsplatzbesitzer liiert sind, schon heute oft folgende Szene erleben: „Schauen Sie doch mal auf den Gehaltszettel Ihres Mannes“, halte man ihnen im Arbeitsamt entgegen. Unterton: Es gibt Familienväter, die dringender einen Job brauchen. Wollen Mütter ihr Kind in einer Betreuungseinrichtung unterbringen, damit das Arbeitsamt sie überhaupt vermittelt, heißt es: „Alleinerziehende haben Vorrang.“ Das sind ganz normale Knappheitsprobleme. Nur: Die VerliererInnen sind immer die Gleichen, nämlich Mütter, die in prekären Jobs landen und damit sozial kaum abgesichert sind. Wenn dann der „Versorger“ ausfällt, ist sie da, die Not.

Mütter, die sich um Kinder kümmern, sind zudem komplizierte Arbeitslose. Sie sind zeitlich und räumlich nicht so flexibel und haben lange Pausen in der Berufstätigkeit. Wer Mütter und Väter unter diesen Umständen gleichbehandelt, ignoriert, dass sie nicht die Chancen haben, sich gleich zu verhalten. Rot-Grün hatte die Logik der ungleichen Chancen einst aufbrechen wollen. Die Hartz-Kommission dagegen folgte ihr blind.

Hartz-Logik I: Die Bedarfsgemeinschaft

Wer einen Partner hat, der verdient, bekommt nach einem Jahr Arbeitslosigkeit kein eigenes Geld mehr. Das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen – und trifft doch Frauen in einem ungleich höheren Ausmaß. Nach einer Berechnung der Gewerkschaft Ver.di werden etwa 60 Prozent aller arbeitslosen Frauen kein Arbeitslosengeld mehr bekommen, ein doppelt so hoher Prozentsatz wie bei den Männern. Für sie werden auch keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt, wie für die anderen „erwerbsfähigen Hilfebezieher“. Die Konsequenz: Sie sind vollkommen auf das Modell „Versorgerehe“ angewiesen. Das trifft vor allem die Frauen im Osten, von denen mehr als doppelt so viele Arbeitslosenhilfe beziehen als im Westen. „Sollen wir jetzt unsere Männer rausschmeißen, damit wir weiter Geld bekommen?“, fragten ostdeutsche Frauen unlängst die Beraterin Karin Kirschner von der Bundesarbeitsgemeinschaft berufliche Perspektiven für Frauen (BAG).

Hartz-Logik II: Effiziente Vermittlung

Da die neuen Arbeitsagenturen vor allem effizient sein sollen, vermitteln sie „teure“ und „einfache“ Arbeitslose zuerst. Frauen, die kein Geld bekommen, sind billige Arbeitslose; Berufsrückkehrerinnen mit Kindern zudem komplizierte Arbeitslose. Jetzt kommen die Verzierungen für Mütter ins Spiel: Rot-Grün hält sich viel darauf zugute, dass man ins Gesetz geschrieben habe, auch billige Arbeitslose sollten vermittelt werden. Aber die Sparvorgabe, teure Arbeitslose schneller zu vermitteln, wird dieses schöne Vorhaben schlicht auffressen, befürchtet nicht nur Christel Degen vom DGB: „Wenn die Vermittler die Wahl haben zwischen einem ,teuren‘ Arbeitslosen und einer Mutter, die keine Leistungen vom Amt bekommt, wen vermitteln die dann wohl zuerst?“

Hartz-Logik III: Mütter als normale Arbeitslose

Mütter in die normale Logik der Arbeitsvermittlung einzubeziehen, ist zugleich ein Vor- und ein Nachteil. Der Vorteil zum bisherigen System ist, dass Mütter nicht mehr einfach in der Sozialhilfe herumdümpeln. Hartz IV bedeutet, dass alle, die drei Stunden pro Tag arbeiten können, auch arbeiten sollen. Das mochte der Gesetzgeber Müttern von Kleinstkindern nicht zumuten. Aber wenn die Kinder drei Jahre alt sind, soll die Mutter theoretisch arbeiten – und das Kind in die Kita. Bisher hieß es in solchen Fällen im Arbeitsamt: „Haben Sie denn einen Betreuungsplatz?“ Und in der Kita hieß es: „Tut uns Leid, kein Platz. Ihr Mann verdient doch, oder?“ Die Zeiten sollten nun vorbei sein. In einem Anfall von Tollkühnheit hatte ein Referent sogar mal ins neue Kinderbetreuungsgesetz geschrieben, die Kommunen seien nun verpflichtet, Müttern, die wieder arbeiten wollen, Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen. Der Passus wurde allerdings ganz schnell wieder gestrichen. Und das verweist wiederum auf das alte Problem: Die Regierung hätte zwar gern, dass Mütter nun wie „normale“ Arbeitslose behandelt werden. Aber sie hindert sie gleichzeitig daran, sich wie solche zu verhalten.

Hartz-Logik IV: Berufsrückkehrerinnen als normale Arbeitslose

Bisher waren Mütter, die sich um Kinder kümmern, eine „besondere Zielgruppe“ der Arbeitsmarktpolitik. Sie hatten einen Rechtsanspruch auf Unterhalt, wenn sie eine Fortbildung zum Wiedereinstieg machten. Und sie mussten dabei bevorzugt berücksichtigt werden. Diese Ansprüche sind weg. Im Hartz-Gesetz heißt es unter Paragraf 8 b nur, sie „sollen“ an allen normalen Arbeitsmarktprogrammen teilnehmen. „Fakt ist, dass der Sachbearbeiter im Arbeitsamt vor Ort das eher wie ein ,kann‘ liest“, sagt Karin Kirschner von der BAG. Warum? Weil Berufsrückkehrerinnen keine teuren, sondern komplizierte Arbeitslose sind. Die Fortbildungsprogramme aber sind nach strengen Effizienzkriterien umstrukturiert worden: Je kürzer, desto besser, heißt es jetzt. Langwierigere Teilzeitprogramme für Mütter wurden zuerst aus dem Programm genommen. Zudem werden Fortbildungsträger nur gefördert, wenn sie eine 70-prozentige Erfolgsquote vorweisen können. Schwer vermittelbare Berufsrückkehrerinnen nimmt man da lieber gar nicht erst ins Programm. Auch so erklärt sich, warum sich die Zahl der Fortbildungen für Berufsrückkehrerinnen in den letzten Jahren halbiert hat.

Hartz-Logik V: Ausweg Minijob

Wer doch noch Leistungen bezieht, muss vermittelt werden. So will es das Gesetz, diesmal im Einklang mit der Sparlogik. Aber wohin? Da helfen die neuen Zumutbarkeitsregeln weiter: Putzen, kellnern, pflegen, helfen, heißt die Devise. Egal ob man Architektin, Historikerin oder Bankkauffrau ist: Minijobs erscheinen durchaus adäquat, insbesondere, wenn der Gatte verdient. Der Deutsche Frauenrat konstatierte dazu in einer Stellungnahme, diese Jobs führten geradewegs „zu erheblicher Dequalifikation, die dem angestrebten Ziel des Förderns durch Fordern diametral zuwiderläuft.“ Ein weitaus größeres Problem ergibt sich, weil immer mehr der begehrten Teilzeitstellen in Minijobs umgewandelt werden. Die Arbeitnehmerkammer Bremen etwa hat beobachtet, dass im Einzelhandel des Stadtstaates binnen eines Jahres 515 reguläre Arbeitsplätze abgebaut wurden und zugleich 332 Minijobs entstanden sind.

Hartz-Logik VI: Ausweg Zusatzjob

Die Wohlfahrtsverbände haben die Stifte schon gespitzt: Sie könnten demnächst Pflege- oder Betreuungskräfte aus den Jobcentern akquirieren und müssten ihnen nur symbolische Löhne von ein bis zwei Euro pro Stunde auf ihr Alg II drauflegen. Beim Paritätischen Wohlfahrtsverband sollen 3.000 neue Stellen entstehen, bei der Arbeiterwohlfahrt 2.500 und auch bei der Caritas „mehrere tausend“. Die Gefahr, dass reguläre Stellen dafür abgebaut werden, benennen sie ehrlicherweise dabei schon selbst. Auf diese Weise könnten auch in diesem Bereich tausende Billigarbeitsplätze entstehen – für Frauen.

Hartz-Logik VII: Ausweg Existenzgründung

Karin Kirscher beobachtet eine Tendenz zur „Not-Existenzgründung“: „Bevor Frauen ihren fürs Alter zusammengesparten Notgroschen verfrühstücken, weil sie keine Arbeitslosenhilfe mehr bekommen, stecken sie ihn lieber in eine Existenzgründung.“ Das ist ihre letzte Chance. Jedoch eine kleine: Etwa 20 Prozent der Ich-AGs, die seit Januar 2003 entstanden sind, sind heute schon wieder pleite.

Hartz-Logik, die Letzte: Ausweg Privathaushalt

Wer nicht in der Dequalifikationsspirale landen oder in den Minijob gedrängt werden möchte, sondern auf einer Umschulung oder einer anderen Qualifizierung besteht, die ihm der Fallmanager nicht gewähren möchte, wird bestraft: Leistungskürzungen wegen Unbotmäßigkeit, Drangsalieren durch Aufforderungen zum Laubfegen, sinnlose Maßnahmen – diese Palette wird heute schon angewandt, um Menschen aus der Statistik zu drängen. Hartz IV mit seinen neuen Zumutbarkeitskriterien macht’s noch leichter möglich. Die Abwanderung aus der Arbeitslosigkeit in die stille Reserve ist bereits im Gang. In den letzten zwei Jahren haben sich jeweils doppelt so viele Menschen aus der Arbeitslosigkeit in die „Nichterwerbstätigkeit“ verabschiedet wie in einen Job.

„Hartz bringt neue Chancen für Frauen“, resümiert ein Papier der SPD-Fraktion die von ihr auf den Weg gebrachten Neuerungen. Dem kann man mühelos beipflichten, wenn man das Wort Chancen einfach ein bisschen umdefiniert: Chancen auf Minijobs, Chancen auf Billigjobs, Chancen auf Familienarbeit. Von gleichen Chancen für Frauen und Männer kann bei diesem Gesetz niemand ernsthaft reden. Gender Mainstreaming war mal die Maxime dieser Regierung: Die unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen und Männern sollten bei allen Gesetzesvorhaben beachtet werden. Genau das hat man beim Hartz-Gesetz versäumt. Anstatt das Prinzip anzuwenden haben die Autoren ganz unten unter ihr Gesetz geschrieben: „Dieses Gesetz berücksichtigt die Prinzipien des Gender Mainstreaming.“