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Archiv-Artikel

Klimaprognose aus dem Eis

Aus einem kilometertiefen Bohrloch am Südpol fördern Klimaforscher uralte Luft an die Oberfläche. Und schließen daraus: Die nächste Eiszeit lässt doch noch auf sich warten

BREMEN taz ■ Der Schatz aus der Tiefe lagert in einer Kühlhalle im Fischereihafen von Bremerhaven: Drei Kilometer Eis vom anderen Ende der Erde, in handliche Meterbarren zersägt. Mit den Seelachsen und Rotbarschen, die nebenan schockgefrostet auf den Transport in die Supermärkte warten, hat der von Wissenschaftlern des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung mühsam zutage geförderte Bohrkern aus der Antarktis indes nur eines gemeinsam: Er darf nicht auftauen.

In dem uralten Eis nämlich ist die Luft vergangener Epochen eingeschlossen – je tiefer es aus der Erde kommt, umso älter ist es. Forscher wie Heinrich Miller, Geophysiker am Bremerhavener Institut, das sich für das Klima der Vergangenheit interessiert, ist das ein „einzigartiges Archiv“. „Das ist genauso, wie wenn ich vor tausenden von Jahren eine Gasflasche mit Luft gefüllt hätte und heute wieder öffnen würde“, sagt Miller.

Das Atmosphären-Archiv aus dem ewigen Eis ist allerdings nur eines der Projekte, die auf der weltgrößten Antarktiskonferenz vorgestellt wurden. Heute geht sie in Bremen zu Ende. Tausende von WissenschaftlerInnen – darunter Klimaforscher, Astronomen, Biologen, Physiker und Ozeanologen – zieht es jedes Jahr für kürzer oder länger in die Nähe des Südpols. Auf dem kältesten und windigsten Kontinent der Erde gibt es allein knapp 40 permanent besetzte Forschungsstationen. Unzählige weitere, die lediglich in den Sommermonaten bewohnt werden, kommen dazu. Die Versorgung der Stationen erfordert einen gewaltigen logistischen Aufwand. Denn selbst in den Sommermonaten steigen die Temperaturen kaum über den Gefrierpunkt, im Winter sind die Stationen samt Besatzung von der Außenwelt praktisch abgeschnitten. Für ihre Messungen setzen die PolarforscherInnen daher zunehmend auch unbemannte Fahrzeuge und Sonden ein.

Vor allem für die Klimaforschung ist die Antarktis von Bedeutung. Der „Kühlschrank der Erde“, wie Miller ihn nennt, funktioniert wie eine gigantische Umwälzpumpe und ist für alle großen Meeresströmungen mitverantwortlich. 90 Prozent des Meerwassers werden hier an die Oberfläche befördert und durchlüftet. Nur wer diese „Klimamaschine“ durchschaue, sagt Miller, könne das Klima vorhersagen.

Und diese „Maschine“ kann durchaus kompliziert sein. Die gigantische Eisschicht etwa, die sich jeden Winter rund um die Antarktis über das Meer legt, bestimmt, wie stark sich der Ozean darunter abkühlt. Eis isoliert. Doch wie gut es isoliert, das hängt von den Mikroorganismen ab, die darin leben.

Auch die Eisstangen, die Miller und seine KollegInnen nach Bremerhaven verfrachtet haben, sollen helfen, das Klima und seinen Wandel zu verstehen. Das älteste Eis, das die Bohrtrupps gewonnen haben, ist knapp 900.000 Jahre alt. Die ersten 740.000 davon sind schon analysiert. Die ForscherInnen wissen jetzt, wie viel Kohlendioxid und Methan damals in der Atmosphäre war und welche Temperaturen vorherrschten. Die drei zurückliegenden Warmzeiten dauerten demnach jeweils ganze 12.000 Jahre – keine sonderlich beruhigende Aussicht, wenn man bedenkt, dass die aktuelle Warmzeit schon 11.000 Jahre auf dem Buckel hat.

Bei ihren jüngsten Eiskernuntersuchungen jedoch stießen die KlimaforscherInnen auf „erstaunliche Ähnlichkeiten“ zwischen dem Beginn der aktuellen Warmzeit und dem Beginn der Warmzeit vor 420.000 Jahren – und diese hielt damals 25.000 Jahre an. „Die jetzige Warmzeit wird also nicht so bald zu Ende gehen“, schlussfolgert Miller daraus – mit einer Einschränkung: dem „Faktor Mensch“. Die enormen Mengen an Treibhausgasen, die der Mensch seit Beginn der Industrialisierung verursacht, stellten schlicht „ein großes Experiment in der Natur mit ungewissem Ausgang“ dar, sagt der Klimaforscher. „Wir sollten zusehen, dass wir möglichst wenig Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen“, empfiehlt er. Eine Garantie, dass sich das Klima dann nicht ändert, ist das allerdings nicht. Die Klimamaschine ist eben komplex.

ARMIN SIMON