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Archiv-Artikel

„Denn Mord verjährt nicht“

Drei Sachsen suchten die Provokation. Sie hängten Plakate in einer polnischen Kleinstadt auf, die unter anderem Fotos von der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zeigten. Ihnen wird Aufforderung zum Rassenhass vorgeworfen

AUS GÖRLITZ CORNELIA SOMMERFELD

Ein solches Plakat muss einfach ins Auge fallen: Zu sehen sind Schwarzweißbilder von Massengräbern, von Flüchtlingstrecks und grausam zugerichteten Leichen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Diese Fotos lassen den Betrachter frösteln. Darüber prangt in schwarzen Lettern die Aufschrift: „Polen und Tschechen herzlich willkommen in der EU! Unsere Justiz arbeitet bereits fleißig, denn Mord verjährt nicht!“

Ein anderes Plakat ist dem vergilbten Ton nachempfunden, der typisch ist für uraltes Schreibmaschinenpapier. „Sonderbefehl der polnischen Regierung“, droht es in Sütterlin-Schrift. Darunter sind die Befehle zur „Umsiedlung der deutschen Bevölkerung“ von 1945 aufgelistet.

Ein weiterer Text mit dem Titel „War das die Befreiung?“ prangert die Vertreibung, Tötung, Verschleppung und Zwangsarbeit von deutschen Zivilisten in Polen, Tschechien, der Sowjetunion und Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg an. „Entnommen dem Regensburger Bistumsblatt Ausgabe 5, 25. 01. 2000“, steht als Quelle da.

Eine Provokation. Zumal diese Plakate in einer polnischen Kleinstadt öffentlich aushingen. Wer hinter der Aktion steckt, ob eine Partei oder eine Organisation, ist noch immer unklar. Darum kümmern sich jetzt Polizei und Staatsanwaltschaft von Bolesławiec. Die Stadt liegt etwa 50 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Am vergangenen Mittwoch tauchten die Plakate dort auf und hingen an Litfaßsäulen und Bushaltestellen – sie wurden von der Stadtwache jedoch eilig entfernt.

In der Nacht zum Donnerstag gingen dann drei junge Männer aus Deutschland einer Polizeikontrolle ins Netz. In ihrem Auto fanden die Polizeibeamten 20 große und 120 kleine Plakate sowie 75 Flugblätter, darüber hinaus stellten sie einen Fotoapparat sicher. „Offensichtlich wollten sie ihre Aktion dokumentieren“, sagt Staatsanwalt Adam Zielinski.

Die Verhafteten sind zwischen 22 und 26 Jahre alt und stammen aus Görlitz, Zittau und Oybin. Nur einen Tag waren sie in Polizeigewahrsam – und hatten die Zeit gleich genutzt, um vergeblich zu versuchen, auf dem Revier eine polnische Landkarte zu zerstören. Inzwischen befinden sich die drei wieder auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft von Bolesławiec verzichtete darauf, Haftbefehl bei Gericht zu beantragen. Ohne Anklage können Verhaftete in Polen nur bis zu 48 Stunden von der Polizei festgehalten werden. Lediglich das Auto der jungen Männer, einen Kleinbus samt Inhalt, beschlagnahmten die polnischen Behörden. Die drei traten die Rückreise nach Deutschland mit dem Zug an.

Die polnische Staatsanwaltschaft entscheidet derzeit, ob die Sache weiter in Polen verfolgt oder den deutschen Behörden übergeben werden soll. Falls die drei Plakatierer in Polen vor Gericht gestellt werden, drohen ihnen Geldstrafen oder sogar Haft von bis zu drei Jahren. Ihnen wird Aufruf zum Rassenhass und Verunglimpfung der polnischen Nation vorgeworfen.

Außerdem prüfen die polnischen Behörden, ob die Festgenommenen etwas mit den Plakaten ähnlichen Inhalts zu tun haben könnten, die im Mai in anderen niederschlesischen Städten große Empörung hervorgerufen hatten.

Obwohl die Plakate ausschließlich in deutscher Sprache verfasst waren, verfehlten sie ihre Wirkung in Polen nicht. Tief sitzen gerade in der älteren Generation die Erinnerungen an das Dritte Reich. Jurek Parkot aus Zgorzelec war während des Krieges selbst Zwangsarbeiter in Deutschland, dennoch findet er milde Worte. Die drei Plakatierer seien halt „nicht ganz normal. Aber wir haben in Polen auch solche Elemente und dafür gibt es Gerichte.“ Die Zeiten der Feindschaft seien vorbei, fügt der 85-Jährige hinzu. „Deutsche und Polen dürfen nicht gegenseitig Ansprüche erheben.“