lexikon der globalisierung : Was sind eigentlich Analysten?
Aufgabe des Analysten ist es, Empfehlungen für den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren zu erarbeiten. Er soll helfen, die der Kapitalbewegung inne wohnende Unsicherheit kalkulierbar zu machen. Wie jeder Versuch, die Zukunft vorherzusehen, blamiert sich seine Praxis jedoch immer wieder an der Wirklichkeit.
Unsicherheit prägt schon die Prognose der makroökonomischen Rahmendaten. Hinzu kommt, dass den „kreativ“ gestalteten Bilanzen der Unternehmen oft nicht zu trauen ist. Schließlich hängt die Preisbewegung der Wertpapiere und Aktien nicht nur von den so genannten „Fundamentaldaten“, sondern auch von der gegenseitigen Beobachtung der Marktteilnehmer ab. Das spekulative Herdenverhalten der Investoren kann zu kumulativen Preisbewegungen führen, die sich phasenweise von den „Fundamentaldaten“ lösen.
Ein Analyst darf sich mit seinen Empfehlungen nicht zu weit vom Mainstream entfernen, um nicht schief zu liegen. Im günstigsten Fall sind seine Empfehlungen Teil einer sich selbst erfüllenden Prophetie: Sie tragen dazu bei, die vorhergesagte Preisbewegung eines Wertpapiers auszulösen.
Aufgabe des Analysten ist es, eine Rationalitätsfassade aufzubauen, eine plausible „Story“ zu erzählen. Manipulation ist dabei nicht nur unvermeidlich, sie erfolgt zumeist auch in eine bestimmte Richtung. Der Kauf von Wertpapieren wird weitaus häufiger empfohlen als ihr Verkauf. Nicht ohne Grund: Verkaufsempfehlungen laufen den Interessen der betroffenen Unternehmen zuwider. Dadurch verschlechtern sich zum Beispiel ihre Finanzierungsbedingungen. Der Analyst ist jedoch auf ein gutes Verhältnis zu den Unternehmen angewiesen, um an Informationen zu gelangen.
Auch die Banken als Arbeitgeber der Analysten haben kein Interesse an Verkaufsempfehlungen, wenn sie gleichzeitig als Kreditgeber jener Unternehmen fungieren oder ihren Börsengang begleiten. Der Analyst bewegt sich somit im Widerspruch zwischen den Renditeinteressen seiner Kunden, der institutionellen Anleger und denen seines Arbeitgebers.
Zum offenen Konflikt kommt es freilich meist nur im Verlauf von Krisen, wie zum Beispiel nach dem Crash der New Economy. Dann zeigt sich auch, dass die Praxis des Analysten nichts anderes ist als eine moderne Wahrsagerei. THOMAS SABLOWSKI
Das Lexikon entsteht in Kooperation mit dem wissenschaftlichen Beirat von Attac und erscheint jeden Montag