: Viel zu viele Fragen bleiben offen
Bürgerinitiativen fordern neue Ermittlungen – nach dem Vorbild der südafrikanischen Wahrheitskommission
WASHINGTON taz ■ Warum wurden mögliche Terrorverbindungen nach Pakistan nicht weiterverfolgt, nachdem bekannt wurde, dass Flugzeugentführer Mohammed Atta 100.000 Dollar vom pakistanischen Geheimdienst erhielt, der verantwortliche General Mahmud Ahmad sich am Morgen des 11. September mit US-Senatoren traf und wenig später seinen Rücktritt einreichte? Warum versagt die US-Luftabwehr völlig, obwohl die Bush-Regierung verschiedene konkrete Warnungen über Flugzeugentführungen erhielt? Warum konnte Ussama Bin Laden ein US-Hospital in Dubai unbehelligt verlassen, nachdem er im Juli 2001 dort den CIA-Offizier Larry Mitchell traf?
Auf diese und andere brisante Fragen bleibt die „9/11“-Untersuchungskommission des US-Kongresses eine Antwort schuldig. Kyle Hence von der Organisation „Unanswered Questions“ übt daher scharfe Kritik an ihrer Arbeit. Die Ermittlungsergebnisse und Aussagen von Regierungsmitarbeitern seien oftmals widersprüchlich. Der Abschlussbericht könne viele Zweifel an der Rekonstruktion der Ereignisse nicht ausräumen. Überdies hätten weder die Kommission noch die Bush-Regierung bislang einen ultimativen Beweis erbracht, wer hinter den Attentaten und deren Finanzierung stecke.
Auch wenn Hence klarstellt, dass seine Organisation keine Verschwörungstheorien unterstützt – etwa das ultrakonservative Kreise im Verein mit dem militärisch-industriellen Komplex ein zweites Pearl Harbor brauchten, um die US-Kriegsmaschine wieder auf Touren zu bringen –, bleibt für ihn dennoch die quälende Frage: „Warum versagten so viele Systeme zur gleichen Zeit? Gab es irgendeine Form der Komplizenschaft?“ Nach wie vor kann Hence nicht glauben, dass 19 Flugzeugentführer die Attentate ohne die logistische Hilfe eines Staates, zum Beispiel Pakistan oder Iran, planen und ausführen konnten.
Dem Abschlussbericht fehle zudem völlig eine historische Analyse der US-Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten, die den Aufbau muslimischer Terrorgruppen erst ermöglichte, sagt Hence. Dass Amerika über Jahrzehnte Ussama Bin Laden und die Taliban tatkräftig unterstützt und sich als Feinde erst herangezüchtet habe, sei als Thema tabu. Als Konsequenz aus der unbefriedigenden Arbeit der Kongressabgeordneten verlangen Unanswered Questions und andere Bürgerinitiativen wie „9/11-Citizenwatch“ eine unabhängige Wahrheitskommission nach südafrikanischem Muster – eine Forderung, die angesichts der bitteren politischen Gräben in Washington und der anfangs offenkundigen Abneigung des Weißen Hauses gegen jede Form der Untersuchung der Hintergründe von „9/11“ Utopie bleiben wird. MICHAEL STRECK