: Verzichten kann so einfach sein
Die Bosse der Automobilindustrie wollen die Personalkosten senken – um 30 Prozent bei den Arbeitnehmern. Und was ist mit ihren eigenen Bezügen?
AUS FRANKFURT AM MAINKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Auch Spitzenmanager haben in Deutschland eine Lobby. Wer sich an den Gehältern der Vorstandsmitglieder von DAX-notierten Unternehmen „vergreife“, riskiere die Abwanderung der Elite der deutschen Wirtschaft ins Ausland, so eine Stellungnahme aus höchsten Börsenkreisen zur Debatte um Lohn- und Gehaltskürzungen auf allen Ebenen, vor allem in der Automobilindustrie. Schließlich würden Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder etwa in den USA oder in der Schweiz weitaus mehr verdienen als deutsche Wirtschaftskapitäne.
Die Betriebsräte bei Daimler in Stuttgart und bei Opel in Rüsselsheim haben darüber gestern herzlich gelacht. Abwanderung in die Schweiz oder in die Staaten? Auf deutsche Topmanager habe man dort gerade gewartet, hieß es despektierlich. Aber in Polen oder auch in der Ukraine könnten deutsche Spitzenmanager sicher noch unterkommen: zu halbierten Bezügen – bei geringeren Lebenshaltungskosten „vor Ort“. Das sei schließlich auch eine Art von Finanzausgleich, lästerte ein IG-Metall-Vertrauensmann bei Opel.
Klaus Franz, Gesamtbetriebsratsvorsitzender für Deutschland und Europa der zum US-Autobauer General Motors (GM) gehörenden deutschen Traditionsfirma Adam Opel AG mit Stammsitz in Rüsselsheim, hält den vom Daimler-Vorstand avisierten Gehaltsverzicht denn auch für eine „Irreführung“ nicht nur der Belegschaft dort, die auf 500 Millionen Euro an Schichtzulagen und sonstige – tarifvertraglich vereinbarte – Vergütungen verzichten soll, sondern auch der deutschen Öffentlichkeit. Wer Millionen verdiene, könne leicht auf vielleicht 10 Prozent seines Jahreseinkommens verzichten. Wer dagegen, wie die meisten Automobilwerker, ein paar tausend Euro im Monat nach Hause bringe, gerate bei Gehaltseinbußen in dieser Größenordnung schnell in finanzielle Schwierigkeiten.
Weil das so ist, fordert der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Daimler, Edzard Reuter, die „gesetzliche Deckelung“ der Managergehälter in Deutschland. Gehaltsobergrenzen müssten eingeführt werden, um „Auswüchse“ zu verhindern. Die ganze Debatte sei „absurd“, schimpfen auch Beschäftigte von Opel zum Schichtwechsel am Mittag vor dem Hauptportal: „Alle sagen doch, dass die Binnennachfrage gestärkt werden soll. Und dann wollen die Bosse – wie bei Volkswagen – die Löhne und Gehälter um gleich 30 Prozent kürzen. Das passt doch alles nicht zusammen.“
Offenbar doch; in den Köpfen der Topmanager jedenfalls. VW etwa will die Personalkosten bis zum Jahre 2011 um knapp ein Drittel „senken“. Und die Gehälter der Vorstandsmitglieder und der 2.700 Führungskräfte gleich mit? Das sei aktuell noch kein Thema, hieß es umgehend aus der Konzernzentrale in Wolfsburg. Eine entsprechende Meldung der Financial Times Deutschland war damit dementiert.
Was aber würde es dem Konzern bringen, wenn die Bosse von VW mit gutem Beispiel vorangehen und auf 30 Prozent ihrer Jahresbezüge verzichten würden? Rund vier Millionen Euro per annum. 2003 jedenfalls haben die Vorstandsmitglieder zusammen knapp 14 Millionen Euro verdient. Was jedes einzelne Vorstandsmitglied im Jahr bekam, bleibt allerdings das Geheimnis von Vorstand und Aufsichtsrat, auch wenn der deutsche Corporate Governance Kodex, eine Art Ehrenkodex für börsennotierte Unternehmen, das eigentlich vorschreibt; allerdings nicht zwingend. Die knapp 14 Millionen Euro an Vorstandsbezügen setzten sich aus fixen und variablen „Bestandteilen“ (VW) zusammen. Die fixe Grundvergütung für die Vorstandsmitglieder betrug 2003 exakt 4.605.612 Euro; die variable Jahresvergütung setzt sich aus Dividenden für zu Vorzugspreisen erworbene Aktien und an den Geschäftserfolg geknüpfte „Ausschüttungen“ zusammen. Summa summarum: 8.962.250 Euro.
Verglichen mit den Bezügen der Daimler-Vorstandsmitglieder sind die Wolfsburger jedoch Hungerleider. Bei einem ähnlichen System aus fixen und variablen Elementen streichen die Bosse in Stuttgart zusammen 40,8 Millionen Euro ein. Bei dem avisierten Verzicht auf 10 Prozent würden also rund vier Millionen Euro eingespart. Den Löwenanteil steckt der Vorstandsvorsitzende Jürgen E. Schrempp ein. Seit einer Indiskretion aus seinem Umfeld ist von rund 12 Millionen Euro die Rede, die der ehemalige „Manager des Jahres“, der in den letzten Jahren Millionenbeträge in den Sand setzte, jährlich bezieht.
Eine Summe, von der etwa der neue Vorstandsvorsitzende von Opel, Hans Demant, nur träumen kann. „Weit weniger als bei Daimler“ werde „on Top“ in Rüsselsheim verdient, hieß es aus Betriebsratskreisen. Wie viel genau, ist nicht zu erfahren. Als in Deutschland nicht börsennotiertes Unternehmen unterliegt Opel nicht den Bestimmungen des deutschen Corporate Governance Kodex. Opel-Betriebsratschef Klaus Franz ist deshalb der Meinung, dass es primär nicht darum gehen könne, einigen Vorstandsmitgliedern die Gehälter um ein paar Prozentpunkte zu kürzen. Das bringe nicht viel. Die Führungskräfte – Spitzenmanager und Vorstandsmitglieder – hätten generell ihren Beitrag zur Zukunftssicherung des Unternehmens zu leisten; so wie die Beschäftigten. Und da sei man bei Opel „auf gutem Wege“. Die neue, an der Kapazitätsauslastung orientierte Arbeitszeitregelung „30 plus“ tangiere Arbeiter, Angestellte und Topmanager gleichermaßen. Die einen verzichteten zähneknirschend auf Geld, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten; die anderen – Manager, leitende Ingenieure und auch Vorstandsmitglieder – auf zwei Urlaubstage. Das „Modell“, so Franz, soll fortgeschrieben werden: bis 2010.