: Das Spiel mit der Angst vor dem Terror
Genau zu dem Zeitpunkt, da der Wahlkampf des demokratischen Herausforderers John Kerry an Schwung gewinnt, kommt die Bush-Regierung mit neuen Terrorwarnungen heraus und lanciert Spekulationen über eine Verschiebung des Wahltermins
AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK
Die US-Hauptstadt ist auch die Welthauptstadt der Gerüchte. Es ist die Stadt, wo Regierungsbeamte „heiße“ oder halbgare Informationen permanent an die Presse durchsickern lassen, um politische Gegner zu diskreditieren, Stimmungen zu beeinflussen, ihren Unmut über die Regierungsarbeit Luft zu machen oder weil Journalisten auf ihrer unermütlichen Suche nach Schlagzeilen die 24-Stunden-Dauermedienmaschine ständig neu füttern müssen.
Beliebt, aber harmlos sind derzeit zum Beispiel die Gedankenspiele, ob Präsident Bush noch vor der Wahl seinen Vize Dick Cheney in Rente schickt. Gegen den jugendlich-charismatischen John Edwards, Vizekandidat von John Kerry, wirkt dieser reichlich verrostet. Zudem ist der Exdirektor des Energie- und Militärausrüstungskonzerns Halliburton aufgrund undurchsichtiger Irak-Verträge mit dem Pentagon ins Zwielicht geraten und für Bush zu einem Risiko geworden. Die ultrakonservative Washington Times will daher erfahren haben, dass Bush auf dem Parteitag der Republikaner eine „dramatische Ankündigung“ machen und seine Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice als neuen „Running Mate“ präsentieren werde.
Beunruhigend, da von anderer politischer Tragweite, sind hingegen die jüngsten Informationen und Spekulationen um Terrorwarnungen und Wahlverschiebung. Es ist der Öffentlichkeit kaum mehr möglich, zwischen tatsächlicher Bedrohung und zynischer Wahltaktik der Bush-Regierung zu unterscheiden.
Als vergangene Woche Heimatschutzminister Tom Ridge verkündete, dass sich die USA auf einen Terroranschlag vor den Wahlen einstellen müssten, wunderte man sich in Washington. Warum sagt der Mann dies ausgerechnet einen Tag, nachdem Kerry mit seiner Wahl Edwards volle Medienaufmerksamkeit genoss. Zudem enthielt seine Warnung nichts Neues: Man wüsste nicht, wo, wie, wann, lautete das altbekannte Credo. Nein, die Terrorwarnstufe werde auch nicht erhöht, so dramatisch sei die Lage nun wieder auch nicht. Laut protestierte gegen die Panikmache natürlich niemand. Der Vorwurf des unpatriotischen Verhaltens würde gerade im Wahlkampf zu schwer wiegen. Doch Opposition und Presse wurden den Eindruck nicht los, dass aus Terrorangst politischer Profit geschlagen werden sollte. Das unterstellte Kalkül: Erstens, in unsicheren Zeiten stellt sich das Volk hinter die Regierung. Zweitens muss sich George Bush immer wieder als „Kriegspräsident“ in Erinnerung rufen, der den Antiterrorkampf entschlossen führt.
So überraschte es schon fast nicht mehr, als am Sonntag bekannt wurde, dass die Regierung eine Verschiebung der Wahlen im November prüfe, sollte kurz vorher ein größerer Terroranschlag verübt werden. Nach Informationen des Magazins Newsweek habe der Chef des US-Wahlausschusses Minister Ridge in einem Schreiben darum gebeten, im Kongress ein Gesetz anzuregen, das seiner Behörde die Verschiebung des Urnengangs ermögliche. Hintergrund ist die Sorge vor einem „Madrid-Szenario“, wobei Terroristen versuchen könnten, die Wahl durch einen gezieltes Attentat zu beeinflussen.
Die Regierung ist sich im Klaren, dass diese Wahl womöglich mehr durch von ihr wenig beeinflussbare Entwicklungen bestimmt wird wie Terroranschläge und die Situation im Irak. Daher soll sie fieberhaft an einem Joker arbeiten. „Die Juli-Überraschung“ nennt es das Magazin New Republic. Es will erfahren haben, dass die Bush-Regierung Druck auf Pakistan ausübt und selbst verstärkt mit Spezialtruppen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet im Einsatz ist, um noch in diesem Monat Ussama Bin Laden zu fangen. Von dieser „Breaking News“ genau zum Demokraten-Parteitag träumen Bushs Wahlstrategen.