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Archiv-Artikel

500 Seiten Armutszeugnis

Der Bericht des Senats zeigt eine unfähige CIA – die zudem Opfer von Bushs Manipulationen wurde. Wahlkampf hemmt weitere Aufklärung

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Die Art und Weise des Abgangs war symptomatisch für das derzeitige politische Klima in der US-Hauptstadt. Wenn es brenzlig wird, zeigt man entweder mit dem Finger auf andere oder macht sich besser aus dem Staub. So nahm George Tenet am Donnerstag offiziell seinen Hut als CIA-Direktor – just einen Tag vor der Veröffentlichung eines vernichtenden Untersuchungsberichts zum Versagen der US-Geheimdienste im Vorfeld des Irakkrieges.

Dass Tenet trotz monatelanger Rücktrittsforderungen so kurz vor der Wahl überhaupt das Handtuch warf, überraschte vergangenen Monat zunächst das politische Establishment. Er ist damit bislang der einzige hochrangige Entscheidungsträger in Washington, der Verantwortung übernahm. Gründe für seinen Rücktritt gab es jedoch reichlich.

Unter Tenets Regie unterliefen dem US-Auslandsgeheimdienst die schwersten Fehler seiner jüngeren Geschichte. Die Terrorwarnungen vor dem 11. September wurden überhört, irakische ABC-Waffenarsenale existierten nicht – wie felsenfest behauptet – und das Widerstandspotenzial irakischer Untergrundkämpfer wurde weit unterschätzt. Als dann schließlich Anfang Juni die blamable Nachricht im CIA-Hauptquartier eintraf, dass der im Weißen Haus und im Pentagon in Ungnade gefallene irakische Exil-Politiker Ahmad Tschalabi möglicherweise US-Geheimdienstdaten an den Iran verraten hat, soll Tenet nach Aussagen von Kollegen die Luft zu dünn geworden sein. Inzwischen gilt als wahrscheinlich, dass er dem brisanten Senatsbericht zuvorkommen wollte.

Das am Freitag vorgestellte 500 Seiten starke Papier des Geheimdienstausschusses stellt der CIA, kurz gesagt, ein Armutszeugnis aus. Es kommt zu dem Schluss, dass fast alle Vorkriegsannahmen über angebliche irakische ABC-Waffen-Programme falsch waren. „Die meisten der Schlüsselangaben im zu Grunde liegenden Geheimdienstbericht von Oktober 2002 waren übertrieben oder zumindest nicht durch die zusammengetragenen Geheimdiensterkenntnisse gedeckt“, schreiben die Autoren.

Der Inhalt des Papiers war nicht mehr völlig neu. Über die vergangenen Monate sickerten Informationen beständig in die Öffentlichkeit durch und zeichneten das Bild einer Behörde, deren Agenten mangelhaftes und veraltetes Material sammeln, schlampige Analysen auf Basis unbestätigter Quellen anfertigen und überhaupt lieber im Büro Computerdaten auswerten, als sich vor Ort im Einsatzgebiet schlau zu machen.

Als Grund für die vielen Fehlurteile nannte der Ausschussvorsitzende Pat Roberts einen „kollektiven Irrglauben“, unter dem die gesamte Geheimdienstwelt gelitten habe. Roberts stellte jedoch klar, man habe keine Hinweise gefunden, ob die Regierung Druck auf Geheimdienstexperten ausübte, um gewünschte und einen Krieg rechtfertigende Informationen zu erhalten.

Der Bericht selbst spart die heikle Frage aus, wie Bush und andere Regierungsmitglieder mit den vom CIA gesammelten und präsentierten Daten umgingen, ob und inwieweit sie diese manipuliert und übertrieben haben. Damit er überhaupt zustande kam, stimmten die Demokraten diesem Kompromiss zu, da sich die Republikaner anfangs gegen jede Form einer Untersuchung sträubten. Das Thema erschien ihnen im Wahlkampf viel zu heiß. Dazu wird der US-Senat eine getrennte Untersuchung liefern – jedoch voraussichtlich nicht vor dem Urnengang am 2. November.

Dies erlaubt Bush, sich von den Ergebnissen und Fehlern des Reports zu distanzieren und die CIA zum alleinigen Sündenbock zu machen. Doch die Opposition versäumte nicht die Chance, die Veröffentlichung zu einem Angriff gegen die Regierung zu nutzen. Der demokratische Senator John Rockefeller, der neben Roberts die Untersuchung leitete, sagte: „Wir im Kongress hätten den Krieg nicht autorisiert, hätten wir gewusst, was wir heute wissen.“ Als Resultat des Irakkriegs sei „unser Image auf einem Tiefpunkt“. Zudem hätten die USA tiefen Hass in der muslimischen Welt gesät. „Unser Land ist daher unsicherer denn je zuvor.“

Aktuelle Zielscheibe der Kritik ist vor allem Vizepräsident Dick Cheney. In dessen Behauptung, Flugzeugentführer Mohammed Atta habe sich in Prag mit einem irakischen Geheimdienstoffizier getroffen, sehen die Demokraten ein eklatantes Beispiel bewusster Fehlinformation. Für Cheneys Behauptung hat es nach Angaben von Tenet niemals Beweise gegeben. „Der US-Öffentlichkeit wurde glaubhaft gemacht, dass der Irak in die Terroranschläge vom 11. September verwickelt war und von al-Qaida und Bagdad die gleiche Bedrohung ausging. Es war nicht die CIA, die dieses Szenario konstruierte, sondern die Regierung“, stellte Senator Carl Levin klar.

Angesichts der vielen offenen Flanken für die Regierung ist ungewiss, ob Bush noch im laufenden Wahlkampf einen Nachfolger für Tenet nominieren wird. Bei seinem Abschied vor den versammelten Geheimdienstlern erwähnte Tenet die Kritik des Berichtes zum Irak nicht. Er räumte seinen Stuhl mit den Worten: „Die Amerikaner wissen um eure Integrität und Verpflichtung der Wahrheit gegenüber.“