: Homo-Verfolgung wird später aufgearbeitet
Finanzminister Eichel formulierte unangenehme Alternative: Entweder werden noch nicht entschädigte Nazi-Opfer gefördert – oder aber die Magnus-Hirschfeld-Stiftung. Die Grünen entschieden sich für die konkreten Opfer
BERLIN taz ■ Die Empörung fiel mächtig aus; sogar die Union fiel in den Chor jener ein, die die Grünen (und mit ihnen die Sozialdemokraten) bezichtigten, ein Renommierprojekt der Koalition für Schwule und Lesben zu torpedieren. Es ging am Freitagnachmittag im Bundestag um die Magnus-Hirschfeld-Stiftung (MHS), die mit 15 Millionen Euro ausgestattet werden soll, um wissenschaftliche und gesellschaftliche Projekte zu fördern, die die nationalsozialistischen Verbrechen gegen homosexuelle Männer und Frauen aufarbeiten – als eine Form symbolischer Wiedergutmachung. In der vorigen Legislaturperiode war die MHS jedoch am schwarz-gelb dominierten Bundesrat gescheitert.
Magnus Hirschfeld war der populärste Sexualforscher der Weimarer Republik, jüdisch und schwul, und gehörte deshalb zu den von den Nazis meistgehassten Personen. Der Name für die Stiftung war nie umstritten; der Widerstand der Union gegen die Stiftung entzündete sich vor zwei Jahren an der angeblichen Dominanz des Lesben und Schwulen Verbands (LSVD) im Kuratorium. Dem Gremium wurde und wird unterstellt, nur die Anliegen des Grünen-Politikers Volker Beck umsetzen zu wollen. Davon unabhängig aber hieß es aus Unionskreisen, dass nichts im Sinne Homosexueller unterstützt werde, was budgetäre Folgen haben könnte.
Mit der Bundestagswahl 2002 (und der Fortsetzung der rot-grünen Regierung) harrte der Gesetzentwurf zur MHS neuer parlamentarischer Debatten – in der Zwischenzeit allerdings hatte das Finanzministerium deutlich signalisiert, wegen der angespannten Haushaltslage alles zu blockieren, was politisch womöglich ehrenhaft sei, aber den Bundeshaushalt nur noch mehr ins Minus beschweren werde.
Das Haus Hans Eichels hat nun dem Vernehmen nach intern schon vor längerem klargestellt, dass das Geld für die Magnus-Hirschfeld-Stiftung bereitgestellt werde, Bedingung ist allerdings ein Tauschgeschäft. Der Finanzminister will dann nicht mehr den Fonds für die vergessenen Opfer des Nationalsozialismus füllen müssen, der konkrete Finanzhilfen ermöglichen würde für noch nicht entschädigte Zwangssterilisierte, Sinti und Roma oder für Männer, die nach dem Naziparagrafen 175 im Gefängnis saßen. Nur ein Projekt könne finanziert werden, so das Finanzministerium, nicht beide zugleich. Die Grünen (und Volker Beck, ihr Parlamentarischer Geschäftsführer) entschieden daraufhin, dass die Gründung einer MHS warten könne, bis eine günstigere Konjunktur die öffentlichen Kassen wieder füllt. Ihnen sind die noch nicht entschädigten Opfer wichtiger.
Diese Zwangslage gedenkt nun die FDP für ihre Interessen zu nutzen: Die Liberalen wollen Rot-Grün als eigentliche Homo-Feinde festnageln – und brachten daher jenen Antrag erneut ein, mit dem die Regierung im Sommer 2002 am Bundesrat scheiterte. Mit kleinen Detailänderungen freilich: Im Kuratorium sollte der LSVD nur mehr mit einem Mitglied vertreten sein.
Weil es aber, so die Grünen-Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk am Freitag im Bundestag, längst nicht mehr um Kuratoriumspfründen ginge, sondern um die Entscheidung, was man unterstützt – noch lebende Opfer oder eine Stiftung –, habe man beschlossen, den FDP-Antrag abzulehnen. Insofern war die FDP-Initiative wohl kaum mehr als eine antigrüne Show.
Das Finanzministerium, so heißt es, kann nun per Erlass in diesem Jahr die noch lebenden Opfer des Naziregimes entschädigen; die Magnus-Hirschfeld-Stiftung könnte in der nächsten Legislaturperiode abermals ins Leben gerufen werden. Ob, wie der Unionsabgeordnete Jürgen Gehb meint, „homosexuelle NS-Opfer bei Rot-Grün unter die Räder gekommen“ sei, bleibt unbewiesen. JAN FEDDERSEN