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Archiv-Artikel

In der Dildokratie

Wie man den Schwanz dekonstruiert, ohne ihn abschneiden zu müssen. Beatriz Preciados „Kontrasexuelles Manifest“ erhebt die Queer Theory zur Staatsdoktrin

VON MARTIN REICHERT

Am Anfang war der Dildo. Behauptet zumindest Beatriz Preciado, lesbische Kultautorin der europäischen Queer-Szene und bekennende Dildosammlerin, in ihrem „Kontrasexuellen Manifest“. Sie entwirft darin das Szenario einer „kontrasexuellen“ Gesellschaft, in der nicht Männer und Frauen, nicht Schwule und Lesben zueinander finden, sondern gleichwertige Körper einen Zeitvertrag schließen.

Der Dildo spielt im Kampf um die Errichtung dieser Gesellschaft, die keine Geschlechter mehr kennt, eine besondere Rolle, denn er ist ein Werkzeug des Widerstands gegen die herrschende Ordnung: Als Maschine kennt er weder Mann noch Frau, sondern nur Körperöffnungen – was so weit der aus dem Leben gegriffenen, aber weniger theoretisch aufgemotzten Weisheit „Loch ist Loch“ entspräche.

Die gebürtige Spanierin Beatriz Preciado, die sowohl an der Paris-Nanterres als auch in Princeton lehrt, ist eine Schülerin des französischen Philosophen Jacques Derrida. Theoretisch fußt ihr Werk hauptsächlich auf dessen „Grammatologie“; im Anschluss an Michel Foucault begreift sie die Geschichte der Sexualität als Geschichte der (Macht-)Technologien. Ähnlich ihrer intellektuellen Vorarbeiterin, der Gender-Queen Judith Butler, greift sich Preciado Versatzstücke aus der postmodernen, neomarxistischen Philosophie und rührt daraus jenen Brei, der die universitären Gender Studies nährt und für NichtakademikerInnen nur schwer verdaulich ist. Sie nimmt die Hypothese einer sozialen oder psychologischen Konstruktion der Geschlechter auf und verortet sie in einem größeren, technokratischen Zusammenhang.

Das „Kontrasexuelle Manifest“ ist jedoch kein Lehrbuch, sondern vor allem ein Pamphlet, das in zwölf Artikeln die Grundsätze der neuen Gesellschaft dekretiert: Die kontrasexuelle Gesellschaft verordnet die Abschaffung der Bezeichnungen „maskulin“ und „feminin“; die Heirat und all ihre „liberalen Ersatzformen“ wie die Homoehe werden abgeschafft. Sex wird von sämtlichen Fortpflanzungsaktivitäten getrennt. Der Anus soll als universales, kontrasexuelles (Lust-)Zentrum aktiviert werden, entzieht er sich doch jeder geschlechtlichen Zuordnung.

Statt des Penis kommt der Dildo nebst allen „syntaktischen Entsprechungen“ wie Finger, Zunge oder Gurke zum Einsatz. In der kontrasexuellen Gesellschaft Preciados gibt es weder Romantik noch Eifersucht, jeder Körper hat die Möglichkeit und das Recht, mehreren kontrasexuellen Gemeinschaften anzugehören (löblicherweise sollen auch Forschungsgruppen zur Minimierung von Geschlechtskrankheiten eingerichtet werden). In der neuen Gesellschaft werden Operationen der Geschlechtsumwandlung zur Gebrauchschirurgie, und während die Familie abgeschafft wird, avancieren Prostituierte zur Avantgarde der neuen Zeit: „Sexarbeiter sind Multimedia-Körper-Performer.“

Das letzte Dekret der Autorin lässt erahnen, was explizit nicht ausgesprochen wird. Das kontrasexuelle Manifest ist eine lesbische Utopie, jedoch mit universellem Anspruch. „Im Rahmen der kontrasexuellen Gesellschaft“, heißt es hier, „nennen sich die Körper lesbische Körper oder Wittigs“ – eine Verneigung vor der im letzen Jahr verstorbenen lesbischen Feministin Monique Wittig, deren Satz „Lesben sind keine Frauen“ ausgesprochen identitätsstiftend nachwirkt.

Preciado geht jedoch wie Butler weiter als der Feminismus der Siebziger- und Achtzigerjahre, sie dekonstruiert den Mann, bis nicht einmal sein Penis übrig bleibt, gegen den es aufzubegehren gelte: Der Penis ist nur ein konstruierter Nachfolger oder Nachahmer des Dildos, der das Zentrum von Preciados „Dildotektonik“ bildet, einer Gegenwissenschaft, die auf der schwul-lesbischen Widerstandstechnologie des Dildogebrauchs fußt. Kontrasexueller Sex besteht aus Körpern, die sich gegenseitig oder selbst mit Dildos bearbeiten, wobei der Dildo auch auf einen Unterarm oder einen Kopf übersetzt, also gedacht werden kann.

Preciado lässt sich in ihren utopischen Sextipps von den Performances des Ron Athey anleiten. Anregungen, auch für eventuell von ihrer Normalität zermürbte Heteros, gibt es in Form von Kinderzeichnungen und Anweisungen: „Strecken Sie sich auf einem Sessel aus und versuchen Sie, Ihr eigenes Arschloch zu ficken.“

Wer je in der gymnasialen Oberstufe mittels mathematischer Formeln einen Zylinder auf der Ebene hat rotieren lassen, wird seine Freude an Preciados theoretischen Zauberkunststückchen haben: Statt ein Kaninchen im Zylinder lässt sie den männlichen Penis im postmodernen Baskenmützchen verschwinden: „Der Dildo ist nicht der Phallus und er repräsentiert nicht den Phallus, weil der Phallus nicht existiert.“ Er muss auch nicht abgeschnitten werden, weil es sich bei ihm ohnehin nur um eine stark vergrößerte Klitoris handelt, angeschwollen lediglich, um dem Vorbild des Dildos zu genügen.

Am Anfang war der Dildo, und die Erfindung des Dildos markiert das Ende des Penis als Ursache des sexuellen Unterschieds: „Alles ist Dildo, alles wird Loch und Klitoris.“ Preciado arbeitet diese Behauptungen unter Zuhilfenahme der (Supplement-)Theorien Derridas und Foucaults „Geschichte der Sexualität“ glaubwürdig durch, im zweiten Teil des Buches werden die Ungeheuerlichkeiten festgezurrt.

Beatriz Preciados „Kontrasexuelles Manifest“ überzieht in mancherlei Hinsicht, und dies mit Absicht: Die Autorin hat, anders als viele ihrer Mitstreiterinnen, erkannt, dass die Gendereuphorie der Neunizgerjahre bislang zu nichts geführt hat: Im Gegenteil befindet sich die Naturalisierung der Geschlechterverhältnisse erneut auf dem Vormarsch, das Nachdenken über das Wesen der Geschlechter hat zu einem neuen Glauben an die Allmacht der Biologie und der Gene geführt. Preciado glaubt, dieser Entwicklung mit Radikalität entgegentreten zu können. Ihr Manifest entspringt einer transatlantischen Affäre zwischen Queer Theory und französischer Philosophie, die Autorin hat es binnen nur eines Jahres in Paris verfasst. Sie hat damit einer Bewegung neues Leben eingehaucht, der, vielleicht gerade weil sie sich an den Universitäten etabliert hat, ein wenig die Luft auszugehen droht.

Einen sehr bodenständigen Gebrauchswert hat der Text insofern, als er den theoretischen Überbau für einen entspannten Umgang mit dem Dildo bildet, der Anhängerinnen lesbisch-feministischer Orthodoxie noch immer als Instrument patriarchaler Unterdrückung gilt.

Beatriz Preciado: „Kontrasexuelles Manifest“, aus dem Französischen von Stephan Geene, Katja Diefenbach und Tara Herbst, 176 Seiten, b_books, Berlin 2004, 14 Euro