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Mars tanzt mobil

Der Sound zur frühjährlichen Pollenallergie: Phoenix trat in Berlin auf – vier eher unbeholfene Musiker, die man mit den Stimmungsmedikamenten ihrer Songs kaum zusammenbringt

VON HENNING KOBER

Sie wollen es. Das große Euphorie-Erlebnis eines Live-Konzerts. Das zeigt die Aufstellung, mit der Phoenix an den Start gehen. Ganz vorne am Bühnenrand, demokratisch auf gleicher Höhe, positionieren sich die vier französischen Popbastler, die mit den Klangarrangements ihres neues Album „Alphabetical“ den zwingenden Sound zur Pollenallergie des Frühjahrs gezimmert haben. Selten decken sich die sorgsam euphorisch verknüpften Worttrauben der Kritiker so folgsam mit dem Kaufverhalten der Menge wie bei der als artifiziell geltenden Pariser Band. Phoenix steht auf Platz drei der deutschen Albumcharts. Der im Vorfeld von der Band geäußerte Wunsch, mit ihrem zweiten Album den großen Durchbruch in Europa zu schaffen, scheint aufzugehen. Führte die letzte Tournee lediglich durch kleinere Clubs, ist jetzt das größere Publikum da. Das ColumbiaFritz ist bis nach hinten gefüllt, das Raumklima glimmt warm.

Entschlossen, den Hasen zu würzen, stimmen Sänger Thomas Mars und seine Freunde „Too Young“ an, den Hit des Debütalbums „United“. Schöne Erinnerungen spielen auf, der Memory-Effekt kickt rein. Die Schauspieler Bill Murray und Scarlett Johansson tanzen durch die Bilder, dank Phoenix-Freundin Sophia Coppola, die das Lied in ihr „Lost in Translation“-Bilderbuch geklebt hat. Im nur mit wenigen roten Lampen erleuchteten Raum vor der Bühne schaukeln die Schultern sanft dazu. Auffallend viele groß bebrillte Mädchen im Spatz-von-Avignon-Style im Publikum, ihre Wangen leuchten verzückt.

Die zweite Nummer ist konsequenterweise die neue Single. Heißt „Everything is Everything“ und klingt tief melancholisch: „Things are going to change, but not for better / Don’t you know what it means to me, but it’s hopeless, hopeless“. Tatsächlich kommt man auf die Idee, dass es hoffnungslos ist, diese hochwirksamen Stimmungsmedikamente zusammen mit dem Bild dieser vier schüchternen, unbeholfenen Musiker zu konsumieren. Sänger Thomas Mars steht da wie ein komplizierter Tantra-Lehrer, der mit dem Mikrofonständer surreale Tintenkleckse in die Luft zeichnet. Seine Kollegen Deck D’Arcy und Laurent Brancowitz an Bass und Gitarre verstecken sich unter ihren Basecaps, nur Christian Mazzalai ganz links strahlt mit großen Augen.

Klar, dass Phoenix keine Rocker, keine Entertainer sind, warum dann aber die konstant gehaltene Slapstick-Pose von Mars, der in Liam-Gallagher-Manie eine Hand auf seinen flachen Po legt? Locker machen wäre der Trumpf des Moments. „Are you enjoying?“, fragt Mars in die Menge, bekommt keine Antwort und spricht ernst, ohne jeden Trotz: „I’m enjoying“. Nummern wie das großartig verspulte „Run Run Run“ oder die Raumschiffmelancholie „(You Can’t Blame It On) Anybody“, das großes Potenzial zum Meisterfänger hat, verlieren sich so etwas im brav mit Applaus bedachten Vortrag, ohne dass sich die Haltung im Publikum verändern würde.

Es ist ein Konzert des Stehens, Hörens, Sehens, Kopfschüttelns. Zum Beispiel, wenn sich während der Gesangspartie von Sänger Mars seine Freunde auf den Boden ducken, um das Zurückbleiben der Instrumente auch optisch zu visualisieren, und im Anschluss die Rollen getauscht werden und der im grauen T-Shirt auftretende Frontmann sich dann ganz klein macht, während die Gitarrenriffs dominieren. Artifiziell soll das wohl sein, es wirkt gekünstelt und verspannt. Phoenix sind zweifellos liebe Jungs, intelligent und in ihrem musikalischen Schaffen genial, aber leider klebt das Gehirn die Buchstabensuppe sofort so zusammen: L-a-n-g-w-e-i-l-e-r.

Was hat sie dazu gemacht? Vielleicht löst sich die Wohngemeinschaft sowohl für die mystische Verklärung als auch die eigene Entwicklung doch besser im Codeinrausch und bunt vollzogenen Inzest auf, als wie im Falle der Pariser bis in die frühen Dreißiger anzudauern. Vielleicht waren auch die viel beschriebene French-House-Hipster-Clique und die Patenschaft der bis heute trigenialen Daft Punk ein Schuh zu groß.

Zum Schluss flackert dann doch kurz der Euphorie-Moment. Das Publikum fordert zum ersten Mal richtig laut an diesem Abend zwei Zugaben. Was macht Thomas Mars? Wie ein Tourist im eigenen Leben steigt er auf einen Barhocker und schaut ungläubig über die wartenden Gesichter.

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