: Die blaue Blume haut ins Auge
Markiert der aktuelle Boom des Romantischen in Mode, Design und Kunst die nostalgische Hinwendung zu einer reaktionären Innerlichkeit? Und was sucht eine neue Garde junger Maler, die gegenwärtig das Arsenal des Romantischen plündert? Eine prosaische Recherche in den Gefilden des Elegischen
VON MAGDALENA KRÖNER
„Nach innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft“, schrieb Novalis. Die blaue Blume der Romantik scheint gegenwärtig wieder Dernier cri zu sein. Das sehnsuchtsvoll getriebene Durchforsten innerer und äußerer Kosmen nach poetischem Sinn, die Sehnsucht nach einer als beseelt empfundenen Natur, die ästhetisch untermauerte Flucht aus dem hellen Licht der Aufklärung in Mythos und Empfindung – wovon die deutschen Romantiker des 19. Jahrhunderts schrieben, kommt eben wieder mit Verve auf den Spielfeldern des Populären an.
Gerade titelt die amerikanische Modebibel W: „Romance is back“ und schwärmt von der „infatuation“, der neuen Vernarrtheit der Modewelt in Rüschen und Spitzen. Hochglanzblätter wie Jalouse setzen auf die Inszenierung des Elegischen in der Fotografie: Überall räkeln sich moderne Ophelias, Helenas und Judiths.
Dass die Sehnsucht nach Schnörkel und Ornament auch vor dem Grafikdesign nicht Halt macht, belegt eindrucksvoll der eben erschienene, natürlich „Romantik“ betitelte Bildband des hippen Berliner Verlags „Die Gestalten“, in dem die Sehnsucht nach Wärme, Nähe und der Verbindlichkeit des Handgemachten sich jedoch rasch in einer überspannten, oberflächlichen Attitüde erschöpft. Der Spiegel verkündete bereits Anfang des Jahres die als Erkenntnis wenig neue Kunde vom romantischen Rückzug ins Gefühlige angesichts komplizierter Zeiten.
Markiert die Rückkehr ins Elegische nun die aktuelle Variante der gesellschaftlich frisch belebten Liebe zum Reaktionären? Eher nicht. Vielmehr spielen merkantile Überlegungen und das ewige popkulturelle Gesetz von Trend und Gegentrend, von Innovation und Assimilation eine Rolle. In der Mode ist die Romantik, passend zur Jahreszeit, lediglich das passende kommerzielle Antidot zur Härte und Grelle des 80er-Jahre-Revivals der letzten Saison, im Design die psychedelisch leuchtende Ablöse der sterilen Vektorgrafik der letzten Jahre.
Doch taugt die Romantik als gesellschaftliche Triebfeder? Der neue Konservatismus scheint nur eine gegenwärtig aktuelle Spielart der ewig menschlichen Suche nach Sinn zu sein: der Flucht ins Geld, ins Ich, in die Erlebnisgesellschaft, in die Religion und nun eben in Romantik und Eskapismus – und entspricht darin nur einem weiteren saisonal generierten Medienphänomen, das einen Bruchteil gesellschaftlicher Verfasstheit abbildet, diesen aber umso besser zu verkaufen weiß.
Und nun taucht zu allem Überfluss auch noch eine neue, junge Schar malender Exegeten des Romantischen auf. Worin resultiert das Interesse dieser bislang wenig beachteten neuen Malergeneration am Romantischen?
Die gerade abgefeierten erfolgreichen Maler des neuen Realismus liefern die rechten Motive für die Salons eines neuen, jungen Bürgertums – man denke etwa an die blonden Schönlinge eines Jens Bisky oder die energetischen Helden eines Eberhard Havekost oder Neo Rauch. Man feiert die neue Lust an der Tradition in Form von endlich wieder „guter“ Malerei in perfekter Ausführung und reichlich heroischem Inhalt – und verkauft sie an moderne Traditionalisten mit dem nötigen Kleingeld.
Abseits des Hypes um diese Art reaktionärer Konsensmalerei, auf deren Inhalte und Form sich weite Teile der Kritik mit „Daumen hoch!“ eingeschossen zu haben scheinen, wachsen jedoch ein paar frische junge Malerpilze auf ölfeuchten Wiesen, die in ihrer Art hintersinniger Widerständigkeit wenig mit den neokonservativen Malereliten am Hut haben.
Dabei pflegt die, um es mal mit Douglas Coupland zu sagen, Generation New-Roman-X zunächst die scheinbare Affirmation: Sie recyceln die Bilder aus Mode, Werbung und Medien, um sie anschließend durch gezielte Kontraste zu brechen. Sie suchen die blaue Blume mit einer Emphase, die die Nähe sowohl zum Kitsch als auch zur Abstraktion nicht scheut. Dabei hauen sie gelegentlich ordentlich ins Auge, indem sie den waghalsigen Spagat aus Pathos und Fragmentarisierung wagen und Disparates zueinander ins Bild zwingen.
Sehr deutlich wird dies etwa in den Aquarellen, Wandbildern und Gemälden des jungen Karlsruher Malers Matthias Bitzer, der in seiner ersten Berliner Galerienausstellung das Illustrative neben das Abstrakte setzt, die Dekoration neben die Strenge, das Rationale neben das Emotionale. Da stehen blumenumrankte, der Werbung entlehnte Frauenporträts neben futuristischen, ornamentalen Rautenstrukturen. Sie umzingeln die lasziven Schönheiten gefährlich und fügen ein disparates, kompositorisches Element hinzu, welches bewusst unverbunden dem Dekorativen angehängt wird und dieses von innen auszuhöhlen scheint. Dabei macht Bitzer zugleich den Bildraum sichtbar und stellt ihn zur Verhandlung.
Ähnlich arbeitet die Kanadierin und ehemalige Städelschülerin Shannon Bool, die als Erste das vom Kölner Schnitt-Ausstellungsraum neu ins Leben gerufene Residenzprogramm bestreiten durfte. Sorgsam übereinander gelegt und ineinander geschoben treffen Vanitas-Motive auf abstrakte Patterns und Endlosmuster, ein andermal werden diese von Ranken durchbrochen: Pathos trifft Kalkül, Motiv trifft Raum.
Andere, wie der Berliner Maler Dirk Bell, arbeiten mit Schichtungen und Überlagerungen verschiedener inhaltlicher Ebenen und brechen das Pathos einer sentimentalen, vorgefundenen Bildvorlage durch das gezielte Hinzufügen eines flüchtigen Handstrichs. Im kontrollierten Zusammenprall von Ornament und Figur, von pathetischer Emphase und formaler Analyse, immer wieder durchsetzt von gezielten Recherchen im Arsenal historischer Avantgarden, scheint die gegenwärtige Malerei ihre innovativsten Impulse zu beziehen. Die neuen Romantiker sind keine Hagiografen, erst recht keine Neu-Nazarener, die eine als ideal empfundene malerische Tradition wieder neu zu beleben trachten. Mit Traditionen haben die neuen Ikonoklasten wenig zu schaffen: Sie sampeln und analysieren und greifen bewusst in die Asservatenkammer von Futurismus oder Minimal. Kohärenz ist dabei verzichtbar.
Dergestalt lustvoll fragmentarisierend ist diese Malerei – was nun aber auch schon wieder ein wenig altmodisch klingen mag – postmodern im Rückgriff aufs Zitat, furchtlos im bewussten Eklektizismus, mutig in der behaupteten, wenn auch strategisch genutzten Emotionalität. Die träumende Sehnsucht der Romantik und der Rückgriff auf Naturmythen treffen auf die Härte der semantischen Entleerung; auf das Bewusstsein um das Hohle des ikonografischen Versprechens. Die Ikonen tauchen, ähnlich den Leipziger und Berliner Malerstars, wieder auf, doch glauben ihnen die neuen Romantiker in keinem Moment ihre Größe und zerlegen diesen denn auch sogleich.
An dieser Stelle entsteht ein Bruch, eine definitorische Leerstelle. An einem solcherart kühn kalkulierten Nullpunkt des Begehrens entzündet sich diese Malerei und erfindet sich aus der Setzung heraus neu. Lieblich? Höchstens im ersten Augenblick. Abgründig? Immer gerne.
Virtuose Könnerschaft gilt ihr weniger als Setzung, als Konfrontation – dadurch fordert sie heraus. Ein gelegentlich durchscheinender Dilettantismus ist dabei gewollt. Im konstruktiven Bruch belebt diese Malerei die entleerten Zeichen wieder, und sei es nur für den perfekt imaginierten Moment eines kurzen Tänzchens im Garten der Lüste.
So kehrt auch der Garten, der klassisch romantische Topos, wieder als Motiv zurück, als Locus amoenus – etwa in den Arbeiten von Kerstin Kartscher oder Laura Owens –, wobei die beseelte Natur hier eher als Capriccio denn als gravitätisch orchestrierte Innerlichkeitssymphonie daherkommt. Kartscher imaginiert überbordende Idylle, während Laura Owens’ somnambule Landschaften immer wieder ins Abstrakte kippen.
Die Wandmalereien des in Düsseldorf lebenden Koreaners Sen Chung gleichen surrealen, den üblichen Bezugsgrößen enthobenen, schwerelosen Streifzügen durch imaginierte Landschaften. Die floralen Arrangements des Briten Paul Morrison dagegen sind konturlastige, schwarzweiße Albträume von monströser Schönheit. Das Kritische und das Naive stehen oft unvermittelt nebeneinander, der Bruch wird gezielt mitgedacht und im Bildgefüge inszeniert.
Hier haben das in der gegenständlichen Malerei jüngst so inflationär auftauchende Hyperreale und das Pubertäre wenig Raum – zu ausgeklügelt ist das formale Vorgehen, zu strategisch die Doppelspur, die hier gleichermaßen scharf in Pathos und Abstraktion geätzt wird. Diese neoromantische malerische Geste verhält sich wie eine frisch infizierte Wunde im Bewusstsein. Sie wird virulent als spürbar gemachte Ambivalenz der Jetztzeit. So ist diese Malerei keine schöne Leiche – wenn schon, dann höchstens eine sehr lebendige Untote.
„Romantik“. Verlag Die Gestalten, Berlin 2004, 28 €. Katalog Shannon Bool, 6 € über www.schnittraum.de. Matthias Bitzer, Galerie Kuttner Siebert, Berlin, bis 8. Mai. Kerstin Kartscher (u. a.) in „L’Air du Temps“, Migros Museum, Zürich, bis 31. 5. Sen Chung, Galerie Van Dedem + Tielkemeijer, Olst, bis 26. 4.; Laura Owens (u. a.), Galerie Hengesbach, Köln, bis 30. 4. Paul Morrison (u. a.), Galerie Magers/Sprüth, München, bis 15. 5.