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Archiv-Artikel

KIRSTEN FUCHS über KLEIDER „Kein Ehrenmann hätte sie geehelicht“

Was wir aus einem Lexikon für Damen aus dem Jahre 1834 heute noch lernen könnten, wenn wir nur wollten

„Bekleidung, ein Wort mannigfacher Bedeutung …“ So steht es in einem Damen-Conversations-Lexikon aus dem Jahr 1834.

Wie lange das her ist, wurde mir immer klarer, je länger ich in der Neuauflage (1987, Union Verlag) blätterte. Ich las auf dem Klo. Es ist nicht damenhaft, auf dem Klo zu lesen, aber darum soll es nicht gehen. Es soll um Bekleidung gehen, „die im allgemeinen dem Bedürfnisse entspringt, sich vor Einwirkungen der Atmosphäre zu schützen. Wie sehr sich das Gefühl für Anstand und Sittlichkeit in der weiblichen Bekleidung ausspricht, muß einem jeglichen einleuchten, und nie kann und darf die Mode als Entschuldigung für unschickliches Entblößen und übertriebene Kürze gelten.“

Das klingt ja doch ganz aktuell. 2004: Bauchfrei-in-die-Schule-Diskussionen. 2014 wird’s um brustfrei gehen. 1835 wären diese entblößten Mädchen als Huren bezeichnet worden, und kein Ehrenmann hätte sie geehelicht. „Ehe, wenn die Ringe gewechselt, wenn das bindende Ja verklungen und der Kranz aus den Locken gefallen, dann heißt die Jungfrau Gattin.“ Und außerdem heißt sie wie ihr Mann und damit ist sie seine und in der erbaulichen Situation, wo sie „an das Krankenbett des Gatten, an die Wiege des sterbenden Kindes gefesselt sein, wo sie Nächte in Tränen, Tage der Entbehrung, Monde des Grames durchleben wird. Schöne, glückliche Zeit!“ Da fällt mir der Kranz aus den Locken, dann doch lieber jungfräuliche Bäuche in der Erziehungsanstalt. Schöne, glückliche Zeit 2004!

Aber ist das die Art Freiheit, für die die Frauen Jahrzehnte nach Erscheinen des Lexikons angefangen haben zu kämpfen? Dass die heutige Jungfrau auf diese Art „aus dem heiteren Kreise der Gespielinnen scheidet“? Immerhin: „Ihr Anzug wird sorgfältiger, sie sucht sich zu schmücken, sie wünscht beachtet und bevorzugt zu werden.“

Beachtung findet ein nackscher Bauch auf jeden Fall. Das ist aber Koketterie, und die „ist falsche Grazie. Sie ist für die Seele, was die Schminke für das Gesicht, eine Lüge; beide ziehen nur ein blödes Auge an.“ Schon ein bisschen unfair, ein Knabenauge als blöde abzutun. Die armen Buben, die ohne Lehrstelle sind, weil ihr Zeugnis schlecht ist und das, weil in der Schule Tangas aus Hosen illerten. Es scheint ja so schon unmöglich, dass Männer und Frauen befreundet sind, denn Freundschaft hat im männlichen Herzen, „da dieses leidenschaftlicher von Natur, im ganzen für dieses Gefühl weniger Anhaltspunkte“. Und wenn die Frauen noch dazu ständig mit ihrem unschicklichen Entblößen das „blöde Auge“ des Mannes anziehen … da bleibt beiden Geschlechtern als Kontakt nur die „Leidenschaft, jene moralische Krankheit, die zur zeitweisen Hemmung oder Unterdrückung des höheren Erkenntnisvermögens“ führt. Weil übrigens die Spanierinnen, Italienerinnen und Französinnen angeblich leidenschaftlicher sind als die germanische Frau mit ihrem „gemäßigten Klima des Gemütes“, sind sie nur für die Liebe zu haben und nicht für die Freundschaft, denn „Freundschaft wohnt gerne in einem sich selbst verleugnenden Herzen.“ Aha.

Überhaupt ist die germanische Frau schamhafter als alle anderen, anders „als die wilden Kinder der Natur“, in ihrer nicht so „weit fortgeschrittenen Kultur“. Und nu, 2004, was nu? Nu ist unsere Kultur wieder zurückgeschritten? Wir sind in Afrika angekommen mit unseren halbnackten Töchtern, die Ringe durch die Nase tragen? Leider ist es trotzdem nicht warm bei uns. „Und endlich ist es nicht zu leugnen, dass die weibliche Bekleidung den größten Einfluß auf die Gesundheit ausübt, indem sie beengend, bluthemmend und erkältend einwirkt.“ So sieht’s tatsächlich aus, habe ich im Fernsehen gesehen: Die Mädels werden zunehmend mit Blasen- und Nierenproblemen vom Sportunterricht befreit.

Tja, Keuschheit („Reiner als der Strahl der Morgensonne“) hin oder her: besser für die Freundschaft und die Gesundheit. Und außerdem – so die Klolektüre – ist ja auch eine „herrliche Poesie in der Sitte der Orientalinnen, tiefverschleiert einherzugehen“. Merhaba, Kopftuchstreit!

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