: Dornröschens Erwachen
Man kann auf den Gefühlen der Zuschauer spielen wie auf einer Orgel – sagte Hitchcock. Quentin Tarantino ist längst beim Cool Jazz angekommen. „Kill Bill Vol. 2.“ macht klar: Dies ist das erste Meisterepos im Werk dieses Regisseurs. Die große Führung durchs Tarantinoverse – Volume 1 und 2!
VON GEORG SEESSLEN
So habe ich die Sache noch nie gesehen. Ich meine die „Superman-Mythologie“, von der Bill spricht, bevor es zum Blutvergießen geht in „Kill Bill Vol. 2“. Die meisten Superhelden nämlich müssen erst durch irgendetwas „gemacht“ werden: Peter Parker wird von einer radioaktiven Spinne gebissen und wird Spiderman, die X-Men müssen ihre mutagenen Anlagen in einer speziellen Schule entwickeln usw. Die auf diese Weise erwählten Menschen legen sich eine Heldenmaskerade zu, eben das Superheldenkostüm. Bei Superman aber verhält es sich genau andersherum, er ist von Natur aus Superman, und sein Kostüm ist nichts anderes als die Decke, in die ihn seine Mutter gewickelt hat, bevor er mit der Rakete vom sterbenden Planeten Krypton geschossen wurde.
Seine Maskerade auf Erden ist der weiße, amerikanische Kleinbürger, so wie ihn ein Außerirdischer sehen mag: Clark Kent, der schüchterne Reporter mit der Kassenbrille, der opportunistische Feigling, ist genau das, was der außerirdische Übermensch in uns normalen Menschen sieht. Eine Karikatur als Traumbild. Unser Psychologie-vergiftetes Denken hat immer nur den schmächtigen Durchschnittsmenschen gesehen, der in seinen Träumen der verehrte, omnipotente Superman ist. Wie aber, wenn es sich genau andersherum verhält? Wenn es nicht das kleine Würstchen ist, das sich den Übermenschen träumt, sondern das fremde Wesen, das sich in die Rolle des kleinen Würstchen träumt (und sich ein wenig darin verliebt). Und was ist, wenn nicht die Bürger träumen, Killer zu werden, sondern die Killer davon, Bürger zu sein? So weit Bill, der dunkle Verführer.
Solches Fragen, das vor langer Zeit mit einem Schmetterling begann, der träumte, ein Mensch zu sein, der träumte, ein Schmetterling zu sein, setzt auch die Spirale der inneren Logik in „Kill Bill“ in Gang. Ist es die Geschichte einer Mutter, die träumt, eine Mörderin zu sein, oder ist es die Geschichte einer Mörderin, die träumt, eine Mutter zu sein? Ist es der Traum von Menschen, zu Comic-Strip-Figuren zu werden, oder ist es der Traum von Comic-Strip-Figuren, zu Menschen zu werden? Ist es der Traum von Pulp Fiction, zu Kunst zu werden, oder ist es der Traum von Kunst, zu Pulp Fiction zu werden? Träumt sich die Geburt den Tod oder der Tod die Geburt?
Das sind Fragen, die man nicht mit einer Lösung, sondern mit einer Form beantwortet. Mit einem Ornament oder mit einem Film. Und genauso verhält sich auch der zweite Teil von „Kill Bill“ zum ersten: wie eine Rachegeschichte, die sich eine Liebesgeschichte träumt, die sich eine Rachegeschichte träumt, die sich … und so weiter. Wie ein Blick nach Osten, der einem Blick nach Westen, der einem Blick nach Osten begegnet (im Popuniversum natürlich). Und diese Spiegelungen bestimmen in „Kill Bill“, dem ersten „Epos“ im Tarantinoverse (nach der Short Story von „Reservoir Dogs“, der Anthologie von „Pulp Fiction“ und dem Roman von „Jackie Brown“), sowohl die Mikro- als auch die Makrostruktur der Bilder und Erzählungen (von denen natürlich, wie im Tarantinoverse üblich, nichts, aber auch gar nichts etwas „Originales“ sein kann).
Der zweite Teil von „Kill Bill“ jedenfalls ist ganz und gar nicht einfach more of the same und kann getrost auch auf die Überbietungsstrategien von Sequels verzichten, wie wir sie gewohnt sind. Tarantino (dieses arrogant grinsende Arschloch) kann es sich sogar leisten, den Motor herunterzuschalten und sich bedächtiger als zuvor zu bewegen. Der Tonwechsel gegenüber dem offenen Ende des ersten Teils könnte kaum radikaler sein; man ist zwar sofort im „Tarantinoverse“, aber doch zugleich in einem ganz neuen Film, der ganz folgerichtig seine Vorgeschichte (das wedding chapel massacre) als inhaltliche und formale Korrektur desselben Geschehens aus Teil 1 präsentiert.
Mal ganz davon abgesehen, dass die allererste Einstellung uns die Braut in ihrem Auto (komplett mit durchsichtiger Rückblende) und als Erzählerin in eigener Sache zeigt, wie in einem Film noir aus den Vierzigerjahren: „When I arrive at my destination, I am gonna kill Bill.“ Und aus den Films noirs kennen wir das Gefühl, solche off-narration stamme von Menschen, die in der einen oder anderen Weise schon tot sind.
Nun ist „Kill Bill Vol. 2“ ja gar kein richtiges Sequel, sondern der zweite Teil einer am Stück produzierten Geschichte. Und eines darf man wohl erklären, ohne die Spannung zu nehmen: Die Geschichte wird wirklich zu Ende erzählt. Wie die Nibelungen, „King Lear“ oder „The Searchers“: Am Ende, da ohnehin beinahe alle tot sind, haben sich nicht nur die Helden, sondern auch die Sprachen für ihre Erzählungen erschöpft. Am Ende eines Epos kann nur ein neues Zeitalter beginnen. (Nichtsdestoweniger kündigt Tarantino schon einen dritten Teil an: die Geschichte jener Rache, die das kleine Mädchen vom Anfang des ersten Teils der Braut schwören musste.)
Aber Vol. 2 ist auch nicht einfach der zweite Teil eines geschlossenen Werks, so wie man bei „Ben Hur“ einst seine Schokoriegel-Kaufpause hatte, die bei „Kill Bill“ aus marktstrategischen Gründen um ein paar Monate zu lang ausgefallen wäre. Stil- und Genrewechsel innerhalb eines Films sind wir von Tarantino ja gewöhnt, wenn sie auch nicht immer so abrupt ausfallen müssen wie in „From Dusk Till Dawn“. Zwischen Vol. 1 und Vol. 2 gibt es einen Schritt hinter den Spiegel, einen Sturz durch den Kaninchenbau. Nicht nur dass der erste Teil, wie Quentin Tarantino sagte, ein Eastern und der zweite Teil ein Western ist; der Weg einer Empfindung (nennen wir es „verletzte Mütterlichkeit“), der Weg eines Gründungsmythos (nennen wir ihn den von den „liebenden Mördern“, die ewige Wiederkehr jener Geister, die nicht wissen, ob sie den Tod oder das Leben bringen) kehrt sich auf seiner Reise durch die Erzählungen und Bilder in seiner Richtung um. Hinein in die Spiegelwelt ging es im ersten Teil, aus ihr heraus will Alice mit dem Schwert in Teil 2.
Wir erinnern uns: Bei den Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande veranstalteten Bill und seine Leute von der Viper-Killerorganisation ein schreckliches Massaker. Bill selbst, der Chef der Organisation und früherer Geliebter der Braut, schoss ihr in den Kopf. Sie fiel ins Koma, erwachte vier Jahre später und musste feststellen, dass sie ihr Kind verloren hatte und im Krankenhaus während ihrer mentalen Abwesenheit missbraucht worden war. So haben wir das Erwachen von Dornröschen auch noch nie gesehen.
Nun begann ein langer Rachefeldzug gegen die Mitglieder ihrer Organisation und Mörder ihrer Familie. Killing by Numbers: Dornröschens Rachefeldzug bildet beständig neue narrative und ästhetische Felder aus. Jede vollendete Rache ist zugleich ein eigener Film, eine Farbe im Gemälde, ein Solo im Track und ein Puzzleteil für eine dahinter liegende Geschichte. Bill, der im ersten Teil eine ferne Schimäre, ein Phantasma der Schuld bleiben musste, steht nun im Zentrum des zweiten Teils, und wie gut die Figur, das Timing und der Darsteller David Carradine funktionieren, das zeigt sich daran, wie mühelos Bill/Carradine die enorme Erwartungsspannung aushalten kann, die in „Kill Bill Vol. 1“ aufgebaut wurde. Carradines Bill ist cool wie Höllenfeuer.
Im ersten Kapitel des neuen Films, das mit einer wundervollen John Ford/Sergio Leone-Hommage beginnt (in Schwarzweiß, um noch einmal an das Kompositionsprinzip des Films zu erinnern: immer etwas ganz anderes im Gleichen), kommt Bill als ungebetener Gast zur Hochzeitsprobe. Sie stellt ihn ihrem Bräutigam, einem freundlichen Verkäufer von gebrauchten Schallplatten, als ihren Vater vor. Bill spielt das Spiel – so scheint es – mit. Die Braut hat Angst vor diesem sanften Ungeheuer, aber sie steht noch immer in seinem Bann. Und dann beginnt das Morden.
Die Geschichte fängt also sozusagen noch einmal neu an – insofern, als wir Bill nicht mehr als den fernen, sadistischen Bösewicht ansehen, sondern als einen gefährlichen Kerl mit Gefühlen. Jetzt wissen wir, dass das Massaker eine Folge nicht des Hasses, nicht der Berechnung, sondern eine der Liebe war. Wie es der Tragödie angemessen ist.
Die nächsten Kapitel behandeln die Fortsetzung des Rachefeldzuges. Zuerst muss die Braut mit Budd fertig werden, der sie lebendig begraben hat. Budd ist Bills kleiner Bruder. Während die Braut sich verzweifelt zu befreien sucht, schweift die Geschichte noch einmal zurück nach Asien, wo sie bei einem weisen Meister sehr effektive Kampftechniken und das Reisessen mit Stäbchen in zerschundenen Händen erlernte. Und dann muss die Braut noch Elle Driver besiegen, die Böseste unter den Killern (vielleicht ist sie vor allem deshalb so böse, weil sie versuchte, den Platz in Bills Leben einzunehmen, den die Braut verließ, und weil sie weiß, dass sie das nicht kann). Und das wird, im Wortsinne, so ziemlich der schmutzigste Teil des Films.
Allerdings auch der, bei dem sich am ehesten das „more of the same“-Gefühl einstellt. Mr. T. tobt sich wieder einmal aus. Zu einer großen Überraschung wird dann der finale Besuch bei Bill. Er knüpft an den letzten Satz in Vol. 1 an: „Is she aware her daughter is still alive?“. Bill hat ein kleines Traumreich am Ozean errichtet, und dort begegnet die Braut ihrer Tochter, die lange schon sehnlich auf ihre wiedererwachte Mutter wartet, und Bill zeigt sich als fürsorglicher Daddy, der die hohe Kunst des Sandwich-Bereitens versteht. Was für eine hübsche, glückliche Familie für den Augenblick. Aber Mom und Dad sind liebende Mörder.
Es grenzt nicht an Unverschämtheit, was Tarantino mit uns anstellt, so zwischen Einfühlung und Verfremdung, Tragödie und Clownerie, es geht in seiner Unverschämtheit vielmehr weit über den Pakt hinaus, den das Kino mal mit seinen Gläubigen geschlossen hat. Kein fester Boden mehr, keine linearen Gleichungen zwischen Bewegung und Gefühl, keine verlässliche Ableitung von Tragödie und Farce ins Melodrama, kein Drei-Akt-Schema des Plots und keine innere continuity. Man kann mit den Gefühlen der Zuschauer spielen wie auf einer Orgel, hat Hitchcock gesagt. Und Quentin Tarantino ist dabei beim Jazz angelangt. Beim Cool Jazz. Klar, dass so einer den Szenenapplaus schon in seinem Spiel mit einkalkuliert, klar, dass seine Soli immer auch etwas Narzisstisches haben.
Es ist dennoch eine glückliche Rückkehr ins Tarantinoverse. Denn der Autor und Regisseur versteht es, uns mit genau den Tricks, die wir von ihm kennen, wieder zu verblüffen, aber aus immer neuen Kombinationen auch eine neue Qualität zu gewinnen. Das Spiel mit den Zitaten, die schräge, einander überlappende Kapiteleinteilung, die harten Schnitte zwischen dem Absurden und dem Anrührenden, die offene Verfremdung der filmischen Mittel, die Reibung zwischen Erzählfluss und einzelner Einstellung, die Comic-Strip-Beziehungen und das Einweben der Popsongs in Handlung und Charakteristik, die Verknüpfung beinahe jeder Szene mit anderen Szenen im Tarantinoverse (zum Beispiel Samuel L. Jacksons kurzer Auftritt in der Kirche) und nicht zuletzt das untrügliche Gespür für die kosmische Komik, die im Zusammentreffen des Banalen und des Erhabenen entsteht.
Nur so ein Beispiel: Der finale, furiose Endkampf zwischen der Braut und Elle Driver, der vor mythologischen Konnotationen nur so strotzt, findet in einem Wohnwagen in der Wüste statt. Die beiden bedienen sich dazu der besten japanischen Schwerter, die je hergestellt wurden. Aber weil es in diesem schmuddeligen Wohnwagen des bekennenden Cowboys Budd, der obendrein noch tot am Boden herumliegt, einigermaßen eng ist, haben die beiden Kämpferinnen immer wieder Schwierigkeiten, ihre Schwerter aus der Scheide zu ziehen, oder sie bleiben im eleganten Schwung des blitzenden Stahls an Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs hängen. Wohlgemerkt: So etwas inszeniert Tarantino nicht als Running Gag im Vordergrund, sondern in schöner Beiläufigkeit in einem kinetischen Geschehen am Rand der Übersichtlichkeit.
In „Kill Bill“ muss uns Tarantino nicht mehr beweisen, dass es keinen Widerspruch zwischen Trash und Kunst gibt. Er bewegt sich schon mit der neugierigen Gelassenheit eines Meisters in seinem eigenen Universum, wie Fellini, wie Ford, und er kann in dieser Meisterschaft ein paar Fragen stellen, das Leben und die Fiktionen betreffend, die schmerzender sein können, als es bei all dem kinetisch verschärften Zeichenspaß zunächst scheinen mag. Wie zu Hause sind wir denn noch in unseren Bildern? Man muss dazu Godard und „Superman“-Comics gleichzeitig denken. Darauf reagieren, wie in der Kultur des Global Village das Fremde und das Vertraute nicht mehr an kulturellen Grenzen geschieden sind, sondern in den Produkten des konstanten Flusses der Codes und Sensationen wieder aufbrechen.
Tarantino benutzt ja nicht nur die endlos zerfallende populäre Mythologie, unsere zweite Wirklichkeit, unsere Metaphysik, um aus ihren Trümmern sein eigenes Ding zu basteln. Er hat da eine gemeine Technik, mehrere Punkte im gleichen Augenblick so heftig zu berühren, dass etwas inwendig zerplatzt. (Diese Technik beherrscht übrigens auch die Braut.)
Und während er sich im Chaos der Codes bewegt, rührt er dabei, anders als die meisten seiner Epigonen, immer wieder an sehr fundamentale Empfindungen. Es passieren lauter absurde und fantastische Dinge, und dauernd zeigt man uns, dass es sich dabei nur um Bilder, nur um Kino, nur um ein Spiel handelt. Früher nannte man so etwas „Camp“. Und beinahe im selben Moment geschehen Dinge, die wir alle nur zu gut kennen: Angst haben, verlassen werden, Cornflakes essen. Das Grauen und die Sehnsucht in der Fantasie von Familie.
Dass die Braut getötet hat, was sie liebte, wird auch in der Ordnung der kleinen Dinge so deutlich wie in der Schleife zum Mutter/Tochter-Motiv der ersten Station ihres Rachefeldzuges. Dort stand sie bereits einer Frau gegenüber, die von einer Killerin zur Mutter zu werden versuchte. Alle Lebensmöglichkeiten werden nach der Flucht aus dem Krankenhaus (der Flucht vor dem Tod) durchmessen: das von Konformitätsdruck gebildete Suburbia-Reihenhaus, der paradiesische Garten, das low life zwischen Trailer und Stripclub, das Krankenhaus, die Selbstfindung in der Reise in den Orient, die Konferenzzimmer der mafiosen Business-Herrschaft. „Kill Bill“ ist unter anderem eine Reise durch die Knotenpunkte von Bürgerlichkeit und Macht. Man kann den Film wie ein aberwitziges audiovisuelles Mixtape ansehen oder eine Montage der Urmärchen im Popgewand. Als Ineinanderstürzen von Geburtstrauma und Todesangst.
Und ganz nebenbei ist es eine ziemlich tückische Geschichte von den Transformationen des Künstlerischen und des Familiären, des Wilden und des Bürgerlichen, ein Blick zurück und ein Blick nach vorn in der magischen Biografie des Quentin Tarantino. Die Geschichte vom schwarzen Vater, den es zu verjagen und zu bewahren gilt.
Was man sich bei Tarantino-Filmen immer fragt: warum die Schauspieler so teuflisch gut sind. Vielleicht, weil sie sich immer auch einen eigenen Traum erfüllen dürfen. Weil der narzisstisch coole Jazzer im Regiestuhl sehr gut auf seine Mitspieler hören kann. Und ihnen den Raum für ihre eigenen Soli schafft. Und weil es beim Spielen immer etwas zu entdecken gibt, wenn man dann wieder überraschend zusammenkommt.
Vom ersten Bild ihrer Begegnung in der Kirche ist die Spannung zwischen Carradine und Thurman da, die das Sexuelle, das Symbolische und das Väterlich-Mythische umfasst; der Tod ist beinahe so spürbar um ihn, dass man an gewisse laszive, symbolistische Gemälde von „Tod und Mädchen“ erinnert ist; Bills magische Flöte (die ihn auch zu einer Art von „Rattenfänger“ macht) spielt eine Todesmelodie, der die Braut einmal nicht mehr folgen wollte. Es ist die Melancholie in dieser Liebes- und Rachegeschichte, dass man von vornherein ahnt, dass all diese grausige, komische, eklige Gewalt vor allem Verkleidung und Inszenierung ist.
Noch mehr als bei David Lynchs „Blue Velvet“ kann man bei „Kill Bill“ vermuten, dass es sich bei all dem schrecklichen Geschehen um nichts anderes handelt als um die Inszenierung einer Fantasie gegen eine todkranke Melancholie. Eine Frau, die dem Tode nahe ist, träumt sich ins Leben zurück. Ist es der Film, in dem eine Frau tötet, was sie liebt, oder ist es der Film, in dem sich ein Mann, der sie liebt, fünfmal töten lässt, um sie zu retten? Oder noch einmal ganz andersherum: Nimmt man einmal all dieses Hauen, Stechen und Schießen, die Genres, Zitate und Satiren weg, dann bleibt die Geschichte einer schwangeren Frau, die sich auf eine bürgerliche Ehe mit einem netten Nerd vorbereitet, als die Clique wieder auftaucht, mit der sie vordem um die Häuser gezogen ist. Um sie zu verabschieden oder um sie aus dem selbst gewählten Gefängnis zu befreien? Oder nur, um noch einmal kräftig Zoff zu machen.
Abenteuer sind Masken der Übergänge im Leben. Abgemacht, wenn es um das Ende der Kindheit geht. Als wäre das der letzte Übergang im Leben und deswegen das letzte Abenteuer! Und Abenteuer sind letztlich immer Albträume (und immer gibt es in ihnen einen Long John Silver, einen Lex Luthor, einen Indianer-Joe, einen Bill).
Rite de passage, hä? „Kill Bill“ erzählt eine Liebesgeschichte mit dem Tod. Dornröschen, wachgeschossen. Und vielleicht ist ja „Kill Bill“ auch nichts anderes als Quentin Tarantinos Art zu sagen, dass er sich eine Familie, dass er sich ein Kind wünscht und dass er weiß, dass das eine ziemlich schwierige Angelegenheit wird, wenn er sich recht erinnert oder recht träumt.
Ist aber letztendlich wurscht, denn ein Film erzählt uns ja nichts. Er ist eine Interpretationsmaschine, zu der lauter verschiedene Gebrauchsanweisungen herumliegen. Nützliche, schöne, sogar gefährliche. Und wenn man erst einmal anfängt, mit einer Maschine wie „Kill Bill“ herumzuspielen … There’s no END.
„Kill Bill – Volume II“. Regie: Quentin Tarantino. Mit Uma Thurman, Daryl Hannah, David Carradine u. a. USA 2003, 136 Minuten