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Archiv-Artikel

LETTLAND BESTRAFT KINDER, DIE DIE FALSCHE SPRACHE SPRECHEN Späte Rache an den Sowjetrussen

In der Zeit der sowjetischen Okkupation war die lettische Sprache auf dem Weg, mehr und mehr an Bedeutung zu verlieren. Russisch war die Sprache beim Militär, in der Verwaltung und in den großen Industriekombinaten. Die LettInnen waren dabei, eine Minderheit im eigenen Lande zu werden: 1990 stellten sie nur noch 58 Prozent der Bevölkerung. Deswegen gaben sie sich nach endlich errungener Unabhängigkeit eine strenge Sprachgesetzgebung.

Das Land hat jetzt offiziell zwei Sprachen: Lettisch und – Livländisch. Letzteres wird gerade noch von einer wenige hundert Menschen umfassenden Minderheit gesprochen. Russisch ist juristisch eine Fremdsprache, auch wenn es die Muttersprache eines Drittels der Bevölkerung ist. Auch in der Praxis ist das Land bilingual. Davon zeugen russische Zeitungen und Fernsehprogramme, Russisch ist beherrschende Sprache in großen Teilen des Geschäftslebens. 120.000 SchülerInnen besuchen russische Schulen und sind nun zum Spielball politischer Interessen geworden – aus Rache für die sowjetische Besatzungszeit. Denn für das Argument, russischsprachigen SchülerInnen tue es gut, würden sie nun zum Gebrauch der lettischen Sprache gezwungen, kann Riga auf keine ernst zu nehmenden pädagogischen Erkenntnisse verweisen.

Auf die immer massiver werdenden Proteste zu reagieren, bleibt nun der Polizei überlassen, wo eigentlich die Politik gefragt wäre. Mit einigem Recht macht deswegen das Wort von den „balkanischen Zuständen“ die Runde – wobei die meisten „balkanischen“ Länder sich durch den Druck von außen inzwischen längst gezwungen sehen, eine formale Gleichberechtigung einzuführen. In zwei Wochen wird Lettland EU-Mitglied. Deren Mitgliedsländer sind verpflichtet, Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft zu bekämpfen und für die Rechte ihrer Minderheiten einzutreten. Lettlands PolitikerInnen haben sich mit ihrer Minderheitenpolitik in einer Sackgasse verrannt. Statt zu schweigen, sollte die EU dazu beitragen, sie dort herauszulotsen. Deutliche Worte der Kritik wären die erste Etappe hierzu. REINHARD WOLFF