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Archiv-Artikel

Und plötzlich sind es Minijobs

Im Einzelhandel ist die Zahl der sozialversicherten Jobs gesunken, während die 400-Euro-Verträge boomen. Gewerkschaft Ver.di rügt: Es trifft allein stehende Frauen

BERLIN taz ■ Verkäuferinnen, die einen Job suchen, kennen das Problem. „Überall, wo man anfragt, gibt es nur noch Minijobs“, klagt die Lebensmittelverkäuferin Susanne F. in Berlin. Die 40-Jährige braucht aber eine Arbeitsstelle, die ihr Renten- und Krankenversicherung ermöglicht. Diese Jobs sind im Handel zunehmend schwer zu bekommen – „die Umwandlung von sozialversicherten Arbeitsplätzen in Minijobs betrifft inzwischen hunderttausende von Stellen“, erklärte gestern Franziska Wiethold, im Bundesvorstand von Ver.di zuständig für den Handel.

Nach dem von der Gewerkschaft Ver.di in Auftrag gegebenen Branchenreport lag die Zahl der sozialversicherten Voll- und Teilzeitstellen im Handel Ende 2003 um 227.000 niedriger als im Vorjahr. Die Zahl der Minijobs mit einem Verdienst von bis zu 400 Euro ist im gleichen Zeitraum jedoch um 176.000 auf 835.000 gestiegen. Etwa jede dritte Beschäftigte im Einzelhandel arbeitet inzwischen auf der Basis eines 400-Euro-Vertrags. Die Neuregelung zu den Minijobs war am 1. April 2003 in Kraft getreten.

Vor allem sozialversicherte Teilzeitstellen werden in Minijobs umgewandelt: Während die Zahl der vollzeitbeschäftigten Mitarbeiter im Jahr 2003 um vier Prozent zurückging, sank der Anteil der Teilzeitbeschäftigten mit Sozialversicherung um satte 26 Prozent.

Wie Wiethold erklärt, kürzten zudem viele Unternehmen ihren Teilzeitbeschäftigten die Stundenzahl, um Geld zu sparen. Manche dieser teilzeitbeschäftigten Frauen nähmen dann an einer anderen Arbeitsstelle noch zusätzlich einen Minijob an, um ein ausreichendes Einkommen zu haben. Für einen sozialversicherten Job sind derzeit 42 Prozent an Sozialabgaben hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu zahlen, außerdem werden noch Steuern fällig. Für einen Minjob auf 400-Euro-Basis muss der Arbeitgeber hingegen nur einen Pauschalbetrag von 25 Prozent für Sozialabgaben und Steuer entrichten, der Arbeitnehmer nichts.

Minijobber erwerben durch diese Tätigkeit keinen eigenen Anspruch auf Krankenversicherung und sind daher zum großen Teil Schüler, Studenten, RentnerInnen, Ehefrauen oder Nebenjobber mit einer anderen Haupttätigkeit. „Alleinstehende Frauen, die ein existenzsicherndes Einkommen und eine eigene Kranken- und Rentenversicherung brauchen, sind durch den Boom der Minijobs klar benachteiligt“, sagt Wiethold. Ver.di fordert, die gesetzliche Ausweitung der Minijobs wieder rückgängig zu machen, weil damit die Sozialsysteme schleichend ausgehöhlt werden.

Die hohe Zahl an Billigjobs ist allerdings auch eine Folge des knallharten Wettbewerbs im Handel – und davon profitieren auch die VerbraucherInnen durch niedrige Preise vor allem bei den Lebensmitteldiscountern.

Als „Erfolgsstory“ hatte Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) noch im vergangenen Jahr den Boom der Minijobs gelobt. Für Susanne F. jedenfalls gilt das nicht. Die arbeitslose Verkäuferin hat über das Arbeitsamt jetzt eine Fördermaßnahme begonnen: Sie besucht eine AB-Maßnahme als angelernte Altenpflegerin. BARBARA DRIBBUSCH