: „Defensive Medien“
Die amerikanische Presse bewegt sich doch. Und berichtet auch mal kritisch über die Bush-Regierung. Erklärungen vom Experten Michael Massing
Interview: ADRIENNE WOLTERSDORF
taz: Die US-Medien, allen voran die Washington Post und die New York Times, sind in letzter Zeit sehr kritisch gegenüber George Bush. Vor ziemlich genau einem Jahr hatte der Präsident die USA in den Irakkrieg geredet. Wo waren damals all die kritischen Journalisten?
Michael Massing: Eine der charakteristischsten Eigenschaften der amerikanischen Presse ist ihre Rudelmentalität. Wenn ein Präsident stark ist, und die Stimmung seine Unterstützung fordert, dann reflektiert die Presse das. Wenn der Präsident aber schwach ist und es viele Debatten gibt, dann macht sich die Presse über ihn her und schreibt kritisch über ihn.
George Bush ist offensichtlich ein starker Präsident. Muss das denn gleich heißen, dass die Medien ihn und seine Politik nicht distanziert analysieren können?
Ich denke, die Administration war sehr gut darin, dass sie Dissens in der Irakkriegfrage mit einem Mangel an Patriotismus für Amerika gleichsetzte. Die Medien waren dadurch ziemlich gehemmt.
Spielte da die Erfahrung des 11. Septembers 2001 noch eine Rolle? Trauten sich die Journalisten nicht, öffentlich die Notwendigkeit und Handhabung eines Krieges gegen den Terror zu hinterfragen?
Der 11. September war im vergangenen Sommer noch sehr präsent. Nach dem Krieg ist das schwächer geworden. Seitdem Bushs Beliebtheit sank, weil im Irak die Plünderungen passierten und täglich US-Soldaten verwundet oder getötet werden, gibt es Raum für unabhängige Analysen. Aber auch heute noch spielt der 11. September eine immense Rolle. Er bleibt die Folie, auf der sich auch die Meinungen der Journalisten bilden. Das betrifft heute Fragen wie die nach den Rechten der Gefangenen auf Guantánamo und der gesteigerten inneren Sicherheit. Darüber wird zwar berichtet, aber nicht in dem Umfang, wie das Thema es verdient.
Was war aus Ihrer Sicht der Punkt, an dem die Kritik an Bush einsetzte?
Es war der Fehlschlag mit den behaupteten Massenvernichtungswaffen. Plötzlich schienen diese Gewissheiten der Administration auf sehr dünnem Eis zu stehen. Und kaum, dass die öffentliche Debatte darüber einsetzte, fühlte sich die Presse ermutigt. Viele Publikationen, die vor dem Krieg ziemlich schweigsam waren, beteiligten sich am Wettstreit um die Kritikfähigkeit.
In der US-Medienlandschaft, insbesondere im Printjournalismus, wird allgemein penibel auf Objektivität, also auf die Trennung von Meinung und Bericht geachtet.
Objektivität bedeutet, dass man versucht, alle Seiten einer Debatte wiederzugeben. Was aber machen Sie, wenn die eine Seite der Debatte so dominant wird, dass die andere Seite kaum noch zu hören ist?
Ist es das, was passierte?
Ja. Die Bush-Administration pochte sehr laut auf ihren Standpunkt, dass der Irak eine Bedrohung für die USA und ihre Verbündeten darstellte. Die meisten hochrangigen Leute hier und in Europa unterstützen sie dabei in der Annahme, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besäße.
In Ihrer Analyse kommen Sie zu dem Schluss, dass bei den großen Zeitungen zwar auch kritisch berichtet wurde, zum Beispiel über die großen Antikriegsdemonstrationen in vielen US-Städten, aber eben meistens auf hinteren Seiten.
Die Pro-Bush-Artikel landeten meistens auf der Seite eins, wo sie natürlich einen ungleich größeren Einfluss auf die öffentliche Meinung hatten. Auch die Fernsehsender lesen Zeitungen und orientieren sich in ihrer Berichterstattung und der Gewichtung ihrer Beiträge an den Printmedien. Und wir sind nun mal eine Fernsehnation.
Wie gehen die US-Journalisten heute mit ihrer unkritischen Rolle im Irakkrieg um?
Ich sehe nicht, dass die großen Zeitungen oder Sender die kritische Selbstbefragung unternehmen, die sie sollten. Sie sind in dieser Frage sehr defensiv. Das ist eine große Enttäuschung für mich.
Ist ein solches Versagen der Demokratie in den USA also wiederholbar?
Die Journalisten hier sind nicht so selbstkritisch. Ich denke durchaus, dass dieselben Tendenzen wieder in Aktion treten könnten, wenn Amerika wieder in eine nationale Notlage gerät oder die große Frage von Krieg und Frieden ansteht, und wir wieder einen populären Präsidenten haben. Die Medien bleiben sehr empfänglich für die allgemeine öffentliche Stimmung.