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Archiv-Artikel

„Auch Arno Schmidt empfand das als Piraterie“

Jan Philipp Reemtsma über das Problem von Raubdrucken, den Fall Schmidt, den Fall Adorno – und über Geld und Neid

„Viele denken, wenn mein Name fällt, sofort an Geld“

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

taz: Sie haben gegen einen Internetpublizisten auf Unterlassung geklagt, der Adorno-Texte publizierte, an denen Sie die Rechte haben. Weshalb haben Sie die Schriften von Theodor W. Adorno gekauft?

Jan Philipp Reemtsma: Ich habe keine Schriften von Adorno gekauft. Die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, deren Vorstand ich bin, besitzt den Nachlass Adornos und die damit zusammenhängenden Rechte.

Wie kam sie an die Texte?

Es ist so gewesen, dass in den Achtzigerjahren das Geld aus dem Nachlass Adornos, das für die Pflege der kranken Frau Adorno zur Verfügung stand, zu Ende ging. Und die Stadt Frankfurt sah sich nicht in der Lage, die Pflege von Frau Adorno, die nach dem Tod ihres Mannes einen Selbstmordversuch unternommen hatte, zu übernehmen. Der Testamentsvollstrecker Adornos kam auf mich zu, weil ich die Edition der Briefe Walter Benjamins finanziell unterstützt hatte, und regte einen Vertrag zwischen Frau Adorno und der Stiftung an. Die übernahm die Pflegekosten für Frau Adorno, im Gegenzug sollte der Nachlass von Adorno und Benjamin, der hinzugehörte, an die Stiftung gehen.

Was wurde aus dem Nachlass?

Ich habe in Frankfurt das Adorno Archiv eingerichtet. Das hat seitdem mit einem Aufwand von sechs Millionen Euro sechzig Publikationen vorgelegt.

Weshalb besteht einer wie Sie auf dem Urheberrecht an den Texten Adornos?

Was heißt ‚einer wie Sie‘? Ich bin der Vorsitzende der Stiftung, sie ist nicht mein Privateigentum und unterliegt der staatlichen Kontrolle. Ich habe dafür zu sorgen, dass die Rechte dieser Stiftung gewahrt bleiben. Und dies tue ich, wie es jeder Rechteinhaber macht – wie ja auch die taz, die auf ihrer Website ihre Texte mit einem Copyright-Hinweis als geschützt kennzeichnet, nicht zuletzt den Artikel, über den wir reden.

Nun spräche ja nichts dagegen, Adorno auch per Internet weiter zu popularisieren.

Popularisierung ist ein ehrenwertes Anliegen, aber nicht um den Preis des Rechtsbruchs. Die Stiftung ist übrigens auch dem Verlag gegenüber verpflichtet, dem sie die Publikationsrechte ja übertragen hat. Das ist das Einmaleins des Urheberrechts. Jetzt kann man darüber streiten, ob es gut ist, dass es ein solches Recht gibt. Ich würde mich weiterhin dafür stark machen.

Es gibt in linksliberalen Kreisen eine gut erinnerliche Tradition des Raubdrucks …

… die ja im 18. Jahrhundert begründet wurde. Daraus ist das Urheberrecht entstanden – nicht zuletzt, um die Rechte der Autoren zu schützen. Jemand kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, er wolle gewissermaßen als Freibeuter – nicht der Meere, sondern des ungesetzlichen Nachdrucks – dagegen verstoßen. Dann legt er sich mit den Rechtsnormen und mit dem Rechteinhaber an. Und dann muss er sich nicht wundern, wenn er Scherereien bekommt, und dann muss er einen Streit mit Anwälten und Kosten hinnehmen.

Ist das nicht hart? In den Siebzigern kursierten Adorno- Raubdrucke en masse.

Das war übrigens eine andere Situation. Die „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer/Adorno gab es lange Zeit nicht im Handel und kaum in Bibliotheken. Da konnte einer argumentieren, dass man anders den Text nicht würde lesen können. In dem Fall des Internetpiraten ging es aber um Schriften, die überall zu haben sind. Der „Jargon der Eigentlichkeit“ und die „Dialektik der Aufklärung“, die zu den illegalen Internetkopien gehörten, gibt es seit Jahrzehnten als Taschenbücher und Paperbacks. Auch alles andere ist zu haben.

„Eigentum ist Diebstahl“, hieß es früher – in diesem Sinne möge Adorno auch allen Netznutzern zugänglich sein. Ähnlich argumentieren auch viele Internetuser, die sich gratis Musik aus dem Netz ziehen.

Aus weltanschaulichen Gründen? Kaum. Man möchte es billig haben. Dieses Bedürfnis ist verständlich, nur nicht immer legal zu befriedigen. Also klaut der eine oder andere. Das kann man natürlich mit schönen Worten adeln, es ändert aber nichts. In der Frage der Musik kenne ich mich nicht gut aus, aber ich würde sagen, dass Jugendliche verschiedene Stadien durchleben. Wenn sie ihre erste Band gegründet und die erste Platte publiziert haben, sind sie die Ersten, die sich über Internetpiraten empören. Das Rechtsempfinden wächst mit der Erfahrung. Der wichtigste Aspekt dabei: Ohne copyright würde kein Verlag publizieren, kein Autor von seiner Arbeit leben können.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein …

… um wieder über Bücher zu sprechen: Den spektakulärsten Fall eines Raubdrucks gab es Ende der Siebzigerjahre. Das war Arno Schmidts „Zettels Traum“. Der Verlag hatte ja nicht geahnt, dass das Buch mal zum Kultobjekt werden würde. Und druckte lediglich 1.000 Exemplare. Es war wahnsinnig teuer. Die Raubdrucker sagten sich: Die Auflage ist limitiert, nur wenigen zugänglich, die viel Geld haben – das Buch sollte sozialisiert werden. Und außerdem kann man daran verdienen. Dieser Raubdruck, der dann gemacht wurde, hat Arno Schmidt die zweite Auflage gekostet, denn die war ja dann per Raubkopie verkauft worden.

Man hört, dass die zweite Auflage ihm ein neues Buch zu schreiben ermöglicht hätte.

Ja. Er war nun darauf angewiesen, wieder Geld mit Übersetzungen zu verdienen. Die Raubdrucker, die immerhin den Autor nicht schädigen wollten, wie sie sagten, boten ihm Geld an. Aber das konnte er nicht annehmen, er hätte ja dann sein Buch zweimal verkauft, d. h., er wäre seinem Verlag gegenüber vertragsbrüchig geworden. Die Leute haben nicht nachgedacht: Was tue ich mit meiner Aktion eigentlich dem von mir verehrten …

die haben ihn verehrt?

Die dachten, sie täten ihm einen Gefallen und er müsste ihnen dankbar sein, dass sie seine Werke – wie hieß es doch: „popularisierten“. Das hat Schmidt sehr getroffen und bis zu seinem Tode beschäftigt, er empfand das als einen Akt der Piraterie.

Warum löst in Ihrem Fall die Urheberrechtsverletzung geringen Unmut aus, großen aber, dass Sie, Jan Philipp Reemtsma, auf die Einhaltung der Rechtsnorm bestehen?

Weil viele nicht über den Sinn der Einhaltung von Rechtsnormen nachdenken, die jeden schützen, der schreibt, sondern, wenn mein Name fällt, an Geld denken. Und da hört das klare Denken meist auf. Das hat übrigens nichts mit links oder rechts zu tun, das funktioniert querbeet.

Neid auf einen, für den Geld nur eine dienende Rolle spielt?

Wenn ich die Frage sehr abstrakt angehe, dann ist Geld pure Möglichkeit, viel fantasieanregender als irgendein konkretes Luxusgut. Um Schmidt zu zitieren: „gepresste und getrocknete Freiheit“. Es ist ein Medium, das maximales Assoziieren und ausschweifendstes Fantasieren ermöglicht.

Lottogewinnfantasien?

Auch das. Wenn ein Journalist mich fragt, warum ich Geld für ein Institut oder für Editionsprojekte ausgebe und nicht für ein Segelboot, dann redet er nur über sich, darüber, was er mit viel Geld machen würde. Aber das ist ja sein Problem. Oder es wirft mir jemand vor, dass ich kein Geld für karitative Zwecke, für Kranke, Überschuldete usw., ausgebe.

Und wie antworten Sie?

Gar nicht. Wer so einen Vorwurf macht, geht davon aus, dass es etwas, wovon er nichts weiß, auch nicht gibt. Oder so: Er denkt sich, dass er, wenn er das Geld hätte, es entweder dafür nicht ausgeben oder, wenn doch, es an die große Glocke hängen würde. Er könnte auch davon ausgehen, dass es selbstverständlich ist, dass jemand, der wohlhabend ist, auch anderen hilft.

Sie sind Autor. Spüren Sie Missgunst gegenüber einen, der nie Lohnschreiber sein musste?

Mag sein, auch das wäre ganz verständlich. Die Frage ist, ob das dazu führen muss, dass man das abwertet, was der andere tut. In dem Fall geht der verständliche Neid in ein Ressentiment über.

Auch als Sie entführt wurden, ging es um Geld. Haben Sie in der Berichterstattung solche Ressentiments verspürt?

Zuweilen. Die taz hat etwa die Worte des Anführers der Bande, die mich entführte, es habe sich um „eine De-luxe-Entführung“ gehandelt, so referiert, als wolle sie sich dieser Einschätzung anschließen.

Kränkte Sie das?

Es hat mich damals angeekelt, diesen Zynismus noch einmal zu hören. Aber darauf kommt es in erster Linie nicht an, es ist ja nicht Ihre Aufgabe, Artikel zu schreiben, die diejenigen mögen, über die geschrieben wird. Aber Ihrer Pflicht, korrekt zu informieren, sollten Sie nachkommen. Der Verfasser des Artikels über den Internettextpiraten schreibt etwa, ich wolle demnächst ein Museum eröffnen, damit Leute sehen können, was ich so an Benjamin-Schriften besitze. Das ist pure Fantasie. Tatsache ist, dass der Benjamin-Nachlass von Frankfurt nach Berlin in die Akademie der Künste transferiert wird, weil es in Frankfurt keine vergleichbar guten Archivbedingungen gibt und weil Benjamin eben auch nach Berlin gehört. Der Leser der taz erfährt nur etwas über die Fantasien irgendeines Journalisten und hält es für die Wahrheit. Mein Ärger ist dabei nicht der Maßstab.

Was ärgert Sie dann?

Der Grad der Desinformation. Das Delirium, das die Zeilen füllt. Dass jeder Blödsinn geglaubt wird. Ich habe einige Briefe bekommen – und keiner hat gemeint, das könne doch nicht sein. Natürlich, mich ärgern auch andere Bewertungen von Dingen, aber das ist meine Privatsache. Darüber sich zu beschweren wäre wirklich larmoyant. Dennoch bleiben die Leute wunderlich. Aber was soll’s, man kann ja nicht aus der Menschheit aussteigen.