piwik no script img

Archiv-Artikel

KIRSTEN FUCHS über KLEIDER Ein Anziehmännchen auf Modeschau

Der Kauf einer Jacke ist ein Spiel mit komplizierten Regeln: Tasche auf, Tasche zu, Kragen hoch – Ärmel wieder zu lang

Letztes Jahr, als es anfing, kälter zu werden, wollte ein guter Freund von mir eine Jacke kaufen. Jeder, der Pascal länger kennt, ist verblüfft, dass er keine Jacke hat: keine dünne, keine dicke, einfach gar keine. Wenn es kalt wird, zieht er zwei Pullover an.

„Kauf dir ’ne Jacke!“ – das ist wahrscheinlich der Satz, den er am häufigsten hört, oder: „Ist dir nicht kalt?“ Um weiterhin als normal zu gelten, startete er letztes Jahr die Aktion: „Pascal sucht die Superjacke“. Ich wurde auserwählt, ihn dabei zu begleiten.

Er sagte, er habe schon eine gesehen, die ihm gut gefalle. Wir suchten ein Gebäude auf, wie es ähnliche in jeder größeren Stadt gibt – mit Hussel, Rossmann, H&M, den üblichen Verdächtigen. Wir gingen in alle Bekleidungsläden, und, um’s kurz zu machen: Immer waren die Ärmel zu lang. Pascal hat etwas zu kurze Arme und stand dann vor dem Spiegel, wackelte so lange mit den Ärmchen, bis ich zustimmen musste, dass er wie ein Einschulungsopfer aussah.

Wir näherten uns langsam dem Laden, in dem er die Jacke gesehen hatte, die ihm gefiel. Leider kostete sie 200 Euro, aber, so sagte Pascal, wenn er sich schon mal eine Jacke kaufe, dann solle das auch eine sein, die ihm gefalle, und die könne dann auch teurer sein. Ich sah ihn schon vor mir, wie er mit sechzig immer noch nur diese eine Jacke besitzen wird und alle zu ihm sagen: „Pascal, kauf dir eine neue Jacke!“

Die Jacke war schick, sehr schick, und er sah trotzdem aus wie ein Einschulungsopfer. Die kurzen Arme halt. Er drehte sich so lange vor dem Spiegel, bis eine Verkäuferin zu ihm kam und ihn so begrüßte, als ob sie ihn gut kannte. Wie sich herausstellte, schlich Pascal schon seit Wochen um diese Jacke herum. Die Verkäuferin bot an, dass man die Ärmel kürzen könnte, dann würde die Jacke etwas mehr kosten. Wir zupften an ihm herum, Jacke zu, Jacke auf, „bück dich mal!“.

Pascal zog alle möglichen Größen an und noch andere Jacken, die einen anderen Kragen hatten. Davon gab es auch viele Größen. Die Verkäuferin fand alles fesch und schaute mich gespannt hinter Pascals Rücken an, ob ich mal ein Machtwort sprechen würde. Sie dachte, Pascal sei mein Mann und damit sei es meine Aufgabe, irgendwann zu verkünden: „Schatz, die Jacke ist es!“

Aber das war nicht meine Rolle in diesem Spiel mit folgenden Spielregeln: Pascal guckt unentschlossen und zeigt immer wieder, wie zu lang die langen Ärmel sind. Taschen auf, Taschen zu, Kragen hoch, Innentasche fürs Handy.

Mir fiel bei dieser ganzen Modenschau auf, dass Pascal auch ohne Jacke tapsig aussieht. Oder die etwa in Dunkelblau, aber der Preis, wir haben auch noch diese hier, herausknöpfbares Innenfutter. Die Verkäuferin zupfte vorne an Pascal herum, um ihm zu zeigen, er könne ruhig schwanger werden. Dann schaute sie zu mir und ließ daraufhin die Finger von meinem, wie sie dachte, Anziehmännchen. Ich guckte aber gar nicht eifersüchtig, sondern müde, sagte Sätze, die ich oft in Umkleidekabinen von meiner Mutter gehört hatte: Dir muss es gefallen, du musst dich darin wohl fühlen, entscheide in Ruhe.

Pascal, der beim Jackenkauf anscheinend immer mit sehr viel Ruhe entschied, entschied – gar nichts. Ich fragte bis Neujahr, was mit der Jacke sei. Nix! Ich ziehe ihn damit nicht auf. Es gibt genug andere Sachen, mit denen man Pascal aufziehen kann. Er zeigt immer beim Reden mit dem Finger auf den Gesprächspartner, mit seinen kurzen Ärmchen.

Gestern hatte ich eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter. Es war eine SMS, die ans Festnetz geschickt worden war und eine desinteressierte Computerstimme sagte mir: „Ich habe eine Latte, war mein erster Versuch dieses Jahr, hat auch nur eine halbe Stunde gedauert. P Punkt.“ So hatte ich es zumindest verstanden. Aber die Nachricht wurde noch mal wiederholt. Ach so, er hat eine Jacke. Ich musste grinsen. Ich war stolz.

So wie ich die Nachricht zuerst verstanden hatte, hätte ich mich aber auch für ihn gefreut. Die erste Latte dieses Jahr, der Pascal mit den kurzen Ärmchen.

Fragen zu Jacken? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL