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Archiv-Artikel

Das Pentagon entdeckt den Klimaschutz

Die amerikanischen Klimaschützer erhalten plötzlich Schützenhilfe von ihren Militärs. Die Erderwärmung bedroht die nationale Sicherheit, heißt es in einer Studie des US-Verteidigungsministeriums. Das Weiße Haus müsse handeln

WASHINGTON taz ■ In einer in den USA bislang weitgehend unbeachteten Studie warnt das Pentagon vor den Konsequenzen des Klimawandels für die nationale Sicherheit – einem Schlüsselthema der US-Regierungspolitik. Das Fazit des internen Papiers: Es gibt genügend Hinweise, dass sich die Erdatmosphäre noch in diesem Jahrhundert bedeutend erwärmen wird. Damit widersprechen die Autoren der Haltung des Weißen Hauses, dass einen Klimawandel für nicht gesichert hält und weitere wissenschaftliche Beweise fordert.

Die Studie geht von einem Szenario aus, das nicht wie bisherige Untersuchungen eine langsame Erderwärmung zugrunde legt, dessen Auswirkungen von Industriestaaten beherrschbar sind. Sie nimmt einen abrupten Klimawechsel an, der durch das Versiegen des Golfstroms ausgelöst die Nordhalbkugel der Erde merklich abkühlen wird.

Der sprunghafte Wandel könnte aber die Tragfähigkeit der Ökosysteme erheblich reduzieren. Ein dramatischer Mangel an Wasser, Nahrung und Energieressourcen wären die Folge. Dem raschen Anpassungsdruck wären viele Staaten nicht gewachsen. Das würde zu Wanderungsbewegungen, regionalen und globalen Konflikten um knappe Ressourcen bis hin zu Kriegen führen.

Solche Prognosen sind nicht neu. Dennoch überrascht der Absender und seine dringliche Warnung. „Dieses Szenario ist nicht das wahrscheinlichste, dennoch vorstellbar, und betrifft die Sicherheit der USA in einer Weise, dass unverzüglich gehandelt werden sollte.“ Geistiger Urheber der Studie ist der 82-jährige Andrew Marshall, ein „Pentagon-Visionär“. Seit Jahrzehnten leitet er ein interne Denkfabrik im Verteidigungsministerium, die zukünftige Bedrohungen analysiert. Marshall beauftragte Peter Schwartz mit der Studie, ehemaliger Planungschef für Royal Dutch/Shell und nunmehr Berater für den US-Geheimdienst CIA.

Besondere Sorge bereitet den Autoren der Kampf um Energieressourcen, die Weiterverbreitung von Nuklearmaterial und der mögliche Zerfall von politischen und wirtschaftlichen Bündnissen. „Das Problem ist so schwer wiegend wie der globale Terror“, bestätigt Anne Petsonk von „Environmental Defense“. Doch von einer Regierung, die das Motto verfolge „Pass dich an oder sterbe“, erwarte sie kein Umdenken.

Laut Studie ist der Klimawandel denn auch unvermeidlich. Zwar empfehlen die Experten ausdrücklich Prävention, doch weniger um die Ursachen der Erderwärmung zu reduzieren, sondern um die Folgen abzufangen – etwa auf Migrationsströme vorbereitet zu sein und Grenzen zu verstärken. „Diese Anpassungsstrategie ist der falsche Ansatz“, kritisiert Nigel Purvis von der Brookings Institution, einer Denkfabrik in Washington. Die Schwankungsbreite und Ungewissheit beim Klimawandel sei so groß, dass jeder Versuch, klimabeeinflussende Emissionen zu reduzieren, unternommen werden sollte.

Initiativen hierzu gibt es auch in den USA, doch gehen sie vor allem von einzelnen Bundesstaaten, Unternehmen und anderen Ministerien aus. David Gardiner, findet es nicht völlig überraschend, dass sich das Pentagon dem Thema widmet. Der ehemalige Direktor der „Climate Change Task Force“ unter Bill Clinton und Mitgründer von „Environment 2004“ sagt: „Im Weißen Haus gibt es beim Klimaschutz ein völliges Führungsvakuum, das von anderen gefüllt wird.“ Gardiner setzt auf unideologische Köpfe im Kongress wie den republikanischen Senator John McCain und seinen demokratischen Kollegen Joe Lieberman. Beide hatten im vergangenen November einen parteiübergreifenden Gesetzentwurf eingebracht, der Industriebetriebe verpflichtet, ihre Emissionen von Treibhausgasen bis 2010 auf das Niveau des Jahres 2000 zurückzufahren. Die Vorlage scheiterte überraschend knapp.

Die Pentagon-Studie dürfte für zusätzlichen Zündstoff sorgen. Allein die Tatsache, dass sich die Militärs mit dem Thema beschäftigen, signalisiere einen fundamentalen Wechsel, schreibt David Stipp im Magazin Fortune. „US-Politiker sehen den Klimawandel vielleicht demnächst nicht mehr als Belästigung, sondern als Problem, das rasches Handeln erfordert.“

MICHAEL STRECK