: Radical Chick
Terrorism sucks, celebrity rules: Robert Stones Dokumentarfilm „Neverland“ erinnert im Forum an die US-Terror-Medienhysterie der Siebziger und die Entführung der Verlegertochter Patty Hearst
VON HARALD FRICKE
Kann es bessere Werbung geben? Als sein Dokumentarfilm auf dem Sundance-Festival lief, erklärte Robert Stone, dass er Parallelen sehe zwischen al-Qaida und der Medienhysterie um die Symbionese Liberation Army (SLA) in den Siebzigerjahren. Damit hatte der Regisseur einen Coup gelandet: Der Feind im Innern ist noch immer eine Vorstellung, bei der es Amerika schwer gruselt – terrorism sucks!
Aus heutiger Sicht ist die Geschichte der SLA ein bisschen Bonnie&Clyde-Mythos und ein schrecklicher Niedergang von politischem Aktivismus. Die Gruppe hatte sich 1972 aus Wut über Nixons Wiederwahl gebildet. Dahinter standen naive Vorstellungen: 30 Jahre später erinnert sich Exmitglied Russ Little im Interview, dass er mit Robin Hood im Fernsehen aufgewachsen war und sich irgendwann selbst als einen solchen Kämpfer für Gerechtigkeit imaginiert hatte. Da passt auch der Titel von Stones Dokumentation: „Neverland“ ist das Märchendomizil von Peter Pan, der nie erwachsen werden wollte.
Im Untergrund formierte sich das halbe Dutzend kalifornischer Studenten zur revolutionären Organisation, mit militärischen Dienstgraden für jeden Beteiligten. Die Miniarmee hatte noch immer kein Programm, nur guten Willen: Abschaffung der Armut, Zerschlagung des korporativen US-Staats, die Anerkennung der Regierung ihrer Schuld am Krieg in Vietnam.
Dann folgten Taten. In Cleveland wurde ein afroamerikanischer Schulleiter erschossen, weil die SLA ihn für einen Verschwörer hielt, der mit der Polizei gemeinsame Sache gegen schwarze und hispanische Minderheiten machte. Bei den Ermittlungen wurden zwei der Mitglieder verhaftet und in das Hochsicherheitsgefängnis nach St. Quentin geschafft. Die SLA reagierte, entführte die Verlegertochter Patty Hearst – und stieg damit von der marginalen Zelle zum Public Enemy No. 1 auf.
Anders als die Black Panther Party, die Unterstützung in der schwarzen Bevölkerung fand, und ohne den studentischen Rückhalt der Weather Underground wurde die SLA durch das Kidnapping vor allem zum Medienphänomen, dessen öffentliche Wirkung Stone mit seiner Dokumentation streng chronologisch nachzeichnet. In der heißen Phase belagerten Fernsehsender und die gesamte US-Presse das Haus des prominenten Verlegers Randolph Hearst, der für die Freilassung seiner Tochter zwei Millionen Dollar für Armenspeisungen in Kalifornien bereitstellte. Mit Original-Footage zeigt Stone nun, wie es bei der Lieferung der Lebensmittel zu Plünderungen kam. Damit hatte die SLA einen Punkt gemacht: Weltweit wurde sichtbar, dass es in den USA tatsächlich Hunger gibt.
Der nächste Erfolg kam, als sich Hearsts Tochter auf die Seite der Entführer stellte und unter dem Decknamen Tania bei Banküberfällen half. 1975 wurde ein Teil der SLA in Los Angeles bei einem Shootout getötet, das Amerika live am Bildschirm mitverfolgen konnte. In irren Sequenzen stolpern Kameramänner und Scharfschützen durcheinander: womöglich die Geburtsstunde des embedded journalism.
Patty Hearst wurde kurz darauf gefasst, kam aber mit einer milden Strafe davon, nachdem ihre Verteidigung auf partielle Unzurechnungsfähigkeit plädiert hatte. In diesem Punkt kennt Stone keine Gnade. Während die anderen überlebenden SLA-Mitglieder 2003 ein zweites Mal verurteilt wurden, sieht man Hearst im Gegenschnitt als Talkshowgast. Hier schließt sich der Kreis: Celebrity rules!
Morgen, 22 Uhr, Delphi, 14. 2., 22.30 Uhr (Arsenal), 15. 2., 18.15 Uhr (Cinemaxx 3)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen