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Archiv-Artikel

Die Rückkehr der Spinner

It‘s the end of the record industry as we know it: Eine Studie der Bank Morgan Stanley weist nach, dass es sich nicht lohnt, in die Musikindustrie zu investieren. Die Zeit der Majors dürfte bald vorbei sein. Die Zukunft des Pop liegt in den Händen der Indies

VON RALF NIEMCZYK

Das wird ja eine tolle „Echo“-Preisverleihung geben. Am 6. März versammeln sich im Berliner ICC wie jedes Jahr die aufgebrezelten Funktionäre der Musikindustrie zur Selbstbeweihräucherung. Hier wird der zweitwichtigste Pop-Award nach den Grammys – so die gänzlich unbescheidene Selbstdarstellung – vergeben und Showbiz-Granaten wie Daniel Küblböck oder Sarah Connor bekommen pfiffig geformte Trophäen ausgehändigt. Beim Aftershow-Essenfassen gibt es Majonäse-Eier, Sushi und auch mal ’ne Pulle Schampus oder drei.

Doch irgendetwas ist anders als sonst. Die cheques and balances am Biertresen sind völlig aus dem Lot geraten. Wenn die gegenwärtige Entwicklung so anhält, wird ein großer Teil des höheren Managements der Majorlabels Universal Music, BMG, EMI, Warner Music und Sony Music, das 2002 noch über Millionendeals bestimmte, die Echo-Gala 2004 als entspannte Frührentner besuchen oder als Minifirmen-Macher zur Kontaktpflege nutzen. Der Ex-EMI-Boss Helmut Fest etwa, ein Kölscher music man par exellence, fährt mittlerweile nicht nur seine Harley in der Provence spazieren, sondern feiert auch – als Besitzer des Kleinlabels Festplatte AG – mit der US-amerikanischen A-cappella-Band Naturally Seven internationale Chartserfolge. Götterdämmerung der Glitzerbranche und radikaler Neuanfang – sie passieren nahezu zeitgleich.

Eine Bodenbildung beim Abwärtstrend ist allerdings noch nicht festzustellen. Bernd Dopp, Geschäftsführer bei Warner Music in Hamburg, nannte in einer Rede auf dem 4. NRW-Kulturwirtschaftstag das Jahr 2005 als Termin für die große Wende. Bis dahin sollen moderne Verwertungsformen im Internet und im Bereich Mobiltelefone (Klingeltöne und mehr) die Verluste im klassischen Handel auffangen.

Ein optimistisches Szenario. Das gemeinsam mit der Telekom, Geschäftsbereich T-Com, betriebene Download-Portal Phonoline soll nach zahlreichen Verzögerungen nun endlich zur Cebit im März starten. Spötter sprechen im Hinblick auf das aberwitzige Nichtfunktionieren beim Autobahn-Mautsystem Toll Collect bereits jetzt vom Phono Collect. Und selbst wenn Phonoline wirklich schwungvoll ans Netz geht, ist es keineswegs sicher, ob die „Geiz ist geil“-gestählte Kundschaft auch wirklich die angepeilten 99 Cent pro Song berappen wird.

Von daher wird 2004 insbesondere bei den fünf Majorlabels noch einmal furios die Axt kreisen. Weitere Entlassungen und ein Ausdünnen des so genannten Artist Roster (Künstlerstamm) dürften unvermeidlich sein. Eine Halbierung des Personalstamms bei den größeren Musikfirmen im Vergleich zu 1999/2000 erscheint als sehr realistisches Szenario. Branchenzyniker haben bereits vor Monaten das Spielchen „CEO-Bingo“ erfunden, bei dem recht hohe Wetten auf den Kopf der nächsten Star-Entlassung eingesetzt werden. Der Jahresumsatz von Musiktonträgern sinkt schließlich seit vier Jahren. Fünf Milliarden Mark waren es im Jahr 2000, rund 1,5 Milliarden Euro werden es im vergangenen Jahr gewesen sein. Ein beispielloser Sturzflug.

In seinem lesenswerten Buch „Rip, Mix, Burn“ liefert der Journalist Janko Röttger den Gegenentwurf zur „Wird schon werden“-Fraktion. Bereits die Titelunterzeile kündet vom „Ende der Musikindustrie“. Röttger zeichnet eine schlüssige Linie vom Napster-Boom bis zu den verzweifelten Versuchen der Industrie, ihre Produkte weiterhin gegen Geld absetzen zu können. „Wir sind die Avantgarde der Katastrophe“, hatte der hanseatische Anwalt Balthasar Schramm, seit 2002 Geschäftsführer der deutschen Tochter von Sony Music, angesichts dieser Schwindel erregenden Abwärtszahlen konstatiert. In der Tat markieren die 15- bis 20-prozentigen Einbrüche, die der Plattenhandel in Deutschland seit 2001 jedes Jahr zu verzeichnen hat, weltweit eine Spitzenleistung.

Doch auch in Großbritannien, den USA und allen wichtigen anderen Ländern zeigt die Kurve stetig nach unten. Selbst im stabilen französischen Markt, mit seiner traditionell hohen Quote an nationalen Produkten, spukt seit 2003 das Minusgespenst. Dennoch gibt sich Sony-Mann Schramm kämpferisch: „Wir sollten aber auch die Avantgarde beim Aufschwung werden.“

Doch dafür müssen die alten Strukturen komplett in die Tonne getreten werden. Unter umfangreicher, zuweilen etwas inszeniert wirkender Medienbegleitung verschwanden in der letzten Woche mit dem US-Manager Antonio Reed (BMG/Arista), Tim Renner (Universal Music) und Thomas M. Stein (BMG) gleich drei Topleute aus ihren Positionen. Ob gefeuert oder selbst gegangen – who cares? Letztlich ist das wohl nur für das Ego (und die Abfindung) der Betroffenen selbst von Relevanz.

Interessanter sind die Tendenzen, die sich hinter dem munteren Chefsessel-Absägen verbergen. Nach den Concorde fliegenden Visionären wie Thomas Middelhoff (Bertelsmann) oder Jean-Marie Messier (Universal) regieren nun nüchtern kalkulierende Bosse in den Konzernspitzen. Die Tabelle ist auch im Musikgeschäft zum Maß aller Dinge geworden. Von Gütersloh aus betrachtet, spielt es keine Rolle, ob irgendein Spinner im Schlangenleder-Anzug die Rendite bringt oder der Buchclub in der Fußgängerzone.

Nicht Hightech-Spinnereien oder schriller Content bringt jene Umsatzrendite von zehn Prozent oder mehr, welche Bertelsmann von seinen Abteilungen fordert, sondern langweiliges Kerngeschäft wie etwa Großdruckereien. Gegen eine 70 Meter hohe Mega-Rollenoffset-Anlage schrumpft selbst der polternde DSDS-Juryheld Thomas M. Stein zum Verlust bringenden Hobbit.

Nach einer jüngst veröffentlichten Studie des US-Bankhauses Morgan Stanley über den amerikanischen Tonträgermarkt ist die Plattenindustrie für den Kapitalmarkt schlicht nicht mehr interessant. Die Banker weisen nach, dass der Produktlebenszyklus von physischen Tonträgern unweigerlich zu Ende ist. Und genau darauf sind die Strukturen der größeren Labels mit ihren Verwaltungs- und Marketing-Wasserköpfen ausgerichtet. Und darum müssen diese jetzt leider alle sterben. Sorry, aber is’ so!

Andererseits – und jetzt soll der Friedhofsgesang verstummen – ist dieses Fazit des Morgan-Stanley-Reports eine der besten Nachrichten seit Jahren. Endlich verschwinden diese ganzen Rendite-Typen aus dem Rock & Roll und halten sich wieder an Containerschiffe oder Junk Bonds von den Caymaninseln. Die Herstellung von Popmusik wird im kommenden goldenen Zeitalter wieder von Spinnern übernommen. Mit dem derzeitigen Personalexodus verschwindet – rein strukturell betrachtet – auch die Generation der Puffgänger und Föhnfrisuren im Popgeschäft.

Möglicherweise ein gar zu sonniger Ausblick. Doch bereits heute gibt es von der Schlaumeier-Techno-Manufaktur Kompakt über die Backcatalogue-Pfleger von Rhino Records bis zum unabhängigen Bochumer Musik-und-Comedy-Hörbuchlabel Roof/Tacheles dutzende erfolgreiche Geschäftsmodelle, die auch morgen noch existieren werden. Nur steht dort kein Ferrari-Testarossa vor der Tür, keine Sekretärin fährt Audi TT.

Ökonomisch betrachtet handelt es sich bei diesen Firmen um kleinere Mittelständler mit Umsätzen zwischen 500.000 und 5 Millionen Euro. Das bedeutet Lohn und Brot für 2 bis 15 Leute. Diese müssen wiederum mit Herz und Seele dabei sein, sonst läuft das nicht mit ihrer emotional hoch aufgeladenen Produktpalette. Ein Dasein zwischen Selbstausbeutung und Übertarifgehältern; Letzteres, wenn mal ein Hit dabei sein sollte.

Am Beispiel des Kölner Kompakt-Labels lässt sich ein weiteres Phänomen festmachen: Die Topkreativen sind gleichzeitig Geschäftsleute, der DJ arbeitet im Vertrieb, der Shuffle-Produzent kontrolliert die ausstehenden Forderungen. Wobei wir gleichzeitig beim Modell der Renaissance-Manufaktur wie bei Rubens und bei Dieter Bohlen wären, der über sein manchmal angeschaltetes Mobiltelefon sein eigener Manager ist und auch sonst dem Idealbild des multifunktionalen Pop-Wolpertingers entspricht. Und dieser Mann muss nicht mal schlucken, wenn ihm böse Einbrecher die ganze Villa ausräumen.

All das mag der Grund dafür sein, dass der Abgang von Universal-Chef Tim Renner so hohe Wellen geschlagen hat. Eine Mischung aus Heiligenverehrung und dem Versuch, das Unerklärliche zu erklären. Der Highlander im schmutzigen Musikgeschäft tritt ab. Dabei hat Renner in seinen 17 Jahren im System auf der Basis eines hellen Kopfes lediglich Glück gehabt und die Charakterstärke bewiesen, halbwegs normal zu bleiben. Auch angesichts der gerade laufenden Prozesse im Falle Mannesmann/Vodafone wird sehr schnell klar, welche Leistung es für einen Topmanager bedeutet, in einer normalen Kneipe ein Bier zu bestellen, ohne dumm aufzufallen. Dass Pop – und Popmusik im Speziellen – gerade dabei ist, diese Managerkaste zu entsorgen (auch wenn daran die Exel-Tabellen in Gütersloh schuld sind), hätte man ihr auf die alten Tage gar nicht mehr zugetraut.

Die Prophezeiung von Chuck D, eines anderen Visionärs, der selbst zu Hochzeiten von Public Enemy wohl nie Concorde geflogen ist, wird langsam, aber sicher zur Realität: Statt weltweit fünf Majors wird es sehr bald 500.000 bizarre Kleinstrukturen geben. Und dabei ist es nicht wichtig, wie schnell der Technologieschub via Internet oder Mobilfunk marktreif sein wird.