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Archiv-Artikel

ROY-DEBATTE 1: SOLIDARITÄT MIT DEM IRAKISCHEN WIDERSTAND? Die Besatzer müssen raus

Arundhati Roys Aufforderung auf dem Weltsozialforum in Bombay, den Widerstand im Irak zu unterstützen, hat zwei Seiten, von denen eine richtig, die andere zumindest problematisch ist. Die Aufforderung zum Widerstand ist richtig, weil berücksichtigt werden muss, dass der Irak ein besetztes Land ist. Der Widerstand gegen eine Besatzungsmacht ist, von höchst seltenen Ausnahmen abgesehen, immer, jedenfalls im Falle Iraks, völlig legitim. Zudem handelt es sich bei den Besatzern, wie die bisherige Erfahrung gezeigt hat, um eine Macht, die sich in der gesamten Region niemals auf die Seite von Freiheit und Demokratie gestellt hat.

Im Gegenteil: Die USA haben seit dem Zweiten Weltkrieg bis in unsere Tage hinein versucht, demokratische Bewegungen im Keime zu ersticken und korrupte und autoritäre Regime an der Macht zu halten. Erinnern wir uns an den im Iran 1953 gestürzten demokratischen Ministerpräsidenten Mohammad Mossadeq, erinnern wir uns daran, dass die widerlichsten Despoten wie die in Saudi-Arabien oder Kuwait die engsten Verbündeten der USA waren und sind. Wir wissen auch, dass es die USA waren, die den Taliban zur Macht verholfen und die grauenhafte Diktatur Saddam Husseins ermöglicht haben. Saddam wurde durch die USA bis an die Zähne bewaffnet, in den Krieg gegen das Nachbarland Iran getrieben und so lange unterstützt, bis er gegen die amerikanischen Interessen verstieß. Erst dann sollte er abtreten.

Die USA haben bewusst die Weltöffentlichkeit falsch informiert und unter dem Vorwand, Irak besitze Massenvernichtungswaffen, das Land besetzt und in ein Chaos gestürzt. Die amerikanisch-britische Invasion, verbunden mit ungeheuren Demütigungen und Erniedrigungen, hat in der gesamten Region tief sitzende Narben aufgerissen, die so bald nicht heilen werden. Kein Wunder, dass die Anschläge, soweit sie sich gegen die USA und Großbritannien richten, Schadenfreude erzeugen. Der Scherbenhaufen, den die Besatzer angerichtet haben, ist ein Hohn auf die Zivilisation, die sie angeblich dem irakischen Volk bescheren wollen. Der Widerstand gegen diese Besatzer ist mehr als legitim. So weit bin ich mit Arundhati Roy einig.

Problematisch wird aber die Antwort auf die Frage, welchen Widerstand man unterstützen sollte und mit welchem Ziel. Die Geschichte bietet ausreichend Beispiele dafür, dass die Gewalt und Widerstandsformen wie Selbstmordattentate nicht zur Freiheit und Demokratie führen. Zudem muss gefragt werden, wer hinter den Anschlägen steckt. Sollte es sich dabei tatsächlich um Anhänger von Saddam Hussein oder um Angehörige von al-Qaida handeln, dann ließe sich ihre Unterstützung durch kein einziges Argument legitimieren.

Wie sieht es aber mit dem zivilen Widerstand aus, gibt es unter der politisch, ethnisch, religiös heterogenen irakischen Bevölkerung gesellschaftliche Kräfte, die für Demokraten als Bündnispartner in Frage kämen? Wohl kaum. Woher sollten diese Kräfte auch kommen? Die jahrzehntelange Diktatur schloss jedes Bestreben nach Freiheit und Demokratie aus. Und Demokratie kann nicht über Nacht entstehen, sie lässt sich auch nicht von oben verordnen, schon gar nicht durch eine Besatzungsmacht. Die zwangsweise Vorwegnahme eines gesellschaftlich-politischen Prozesses, der eigentlich im Kampf gegen die Diktatur zur Bildung von demokratischen Kräften hätte führen sollen, wird für das irakische Volk weit reichende Folgen haben. Und diese Folgen werden umso schwerer, je länger die Besatzung dauert. Daher müssen die Okkupanten so rasch wie möglich das Land verlassen.

Das ist eine Forderung, die vom überwiegenden Teil der irakischen Bevölkerung gestellt wird und die die gemeinsame Grundlage aller irakischen Widerstandsgruppen bildet. Mit dieser Forderung können sich auch Demokraten außerhalb Iraks identifizieren. So gesehen, wäre nach meiner Auffassung Roys Aufforderung „Wir müssen zum Widerstand werden“ völlig korrekt, umso mehr, weil alles, was dem Irak widerfahren ist, sich demnächst in Syrien und Iran wiederholen könnte.

Die Weltbevölkerung sollte endlich den Strategen im Weißen Haus klar machen, dass eine militärische Übermacht kein Land dazu berechtigt, andere Länder zu überfallen und ihnen zu diktieren, welches politische System sie zu akzeptieren haben. Schließlich gibt es so etwas wie ein Völkerrecht – auch wenn die USA es oft genug missachtet haben. BAHMAN NIRUMAND

Der Autor ist iranischer Schriftsteller und Journalist und lebt seit 1982 in Deutschland im Exil