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Archiv-Artikel

Aufruhr um Notstandsgesetze

Der „Krieg gegen den Terror“ findet auch an Großbritanniens Heimatfront statt. Jetzt will sich die Regierung Blair die Ausrufung des Ausnahmezustands erleichtern

DUBLIN taz ■ Den Blankoscheck, den sich die britische Regierung für den Kampf gegen den Terrorismus im eigenen Land gewünscht hatte, wird sie nicht bekommen. Aber auch der neue, ein wenig abgemilderte Gesetzesentwurf, der in dieser Woche vorgelegt wurde, soll die Minister ermächtigen, im Falle eines Notstands drakonische Maßnahmen zu ergreifen.

So dürften sie erstmals den Ausnahmezustand auch auf regionaler Basis, also über einen Teil des Vereinigten Königreichs, verhängen. Das Parlament müsste nachträglich binnen 30 Tagen zustimmen. Zu den vorgesehenen Maßnahmen, die dann ohne weiteres möglich sind, zählen ein Versammlungsverbot, die Beschlagnahme von Immobilien, die Evakuierung betroffener Gebiete, das Abschalten sämtlicher Telefone und des Internets sowie ein Reiseverbot. Darüber hinaus könnte die Regierung die Kontrolle über Finanzinstitutionen übernehmen oder Banken vorübergehend schließen, um nach einer Katastrophe bestimmte Transaktionen zu verhindern, die die Wirtschaft schädigen würden.

Die Regierung Blair erweiterte die geltenden Notstandsgesetze von 1920 und 1948 bereits in den Jahren 2000 und 2001, doch nun reicht ihr das nicht mehr aus. Seit Juni, als die Regierung ihren ersten Gesetzesentwurf veröffentlichte, wurde erbittert um die Definition des Wortes „Notstand“ gestritten. Premierminister Tony Blair wollte gern auch eine allgemeine Bedrohung der „politischen, administrativen und wirtschaftlichen Stabilität“ als Begründung für die Ausrufung eines Notstands gelten lassen, stieß damit jedoch auf den Widerstand von Bürgerrechtsorganisationen und zahlreicher Abgeordneter. Im neuen Entwurf ist nur noch die Rede von einer „Gefahr für das Wohlergehen der Bürger, für die Umwelt oder die Sicherheit“. Darunter fallen neben Terroranschlägen auch Flutkatastrophen, Orkane, Tierseuchen, Benzinkrisen und sogar Angriffe auf das Internet.

Die vorgesehenen Kontrollmechanismen gegen einen Missbrauch der Gesetze sind jedoch schwach: Minister müssen sich sicher sein, dass es ein schwerwiegendes Problem gibt oder geben wird; sie müssen nachweisen, dass Notstandsmaßnahmen notwendig und der Bedrohung angemessen sind. „Wie das funktioniert, hat die Regierung bei der Einstimmung der Bevölkerung auf den Irakkrieg hinlänglich bewiesen“, sagte ein Bürgerrechtler aus Manchester. „Sie hat mit Hilfe von Lügen und Unterstellungen Fakten geschaffen.“

Shami Chakrabarti, Direktorin der Bürgerrechtsorganisation Liberty, begrüßte den modifizierten Gesetzesentwurf dennoch als Schritt in die richtige Richtung, warnte aber: „Wir dürfen nicht nur daran denken, was eine künftige Regierung mit guten Absichten tun könnte, sondern müssen auch in Betracht ziehen, wie eine Regierung mit weniger guten Absichten handeln könnte.“ Tony Bunyan von Statewatch, einer Organisation, die ein wachsames Auge auf staatliche Kontrolle und Bürgerrechte in Europa hat, hält dagegen überhaupt nichts von dem Gesetzesentwurf. „Die wenigen Konzessionen, die die Regierung zugestanden hat, ändern nichts an unserer grundlegenden Ablehnung dieses Gesetzes. Die Regierung könnte sich neue Staatsvergehen per Dekret ausdenken. Mit einem Streich könnte die Demokratie durch den Totalitarismus ersetzt werden.“

RALF SOTSCHECK