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Archiv-Artikel

Bei Terror abschalten

Ein Gutachten im Auftrag von Jürgen Trittin ergibt: Zum Schutz vor Terrorangriffen können die Behörden Reaktoren sogar dichtmachen

VON CHRISTIAN RATH

Der Staat kann gegenüber AKW-Betreibern weitreichende Maßnahmen zur Terrorabwehr durchsetzen – bis hin zur Stillegung der Kraftwerke. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten des Hamburger Rechtsprofessors Hans-Joachim Koch für das Bundesumweltministerium.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) zwei Gutachten in Auftrag gegeben: Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit sollte die Sicherheit der deutschen AKWs bei Angriffen aus der Luft untersuchen. Offiziell ist diese Studie immer noch geheim, doch inzwischen wurde bekannt (taz vom 17. Dez. 2003), dass keines der 19 deutschen Kernkraftwerke ausreichend gegen einen absichtlichen Flugzeugabsturz gesichert ist. Eine brisante Information – vor allem nach den jüngsten Geheimdienstwarnungen, dass islamistische Terroristen auch Anschläge gegen deutsche AKWs planten.

Umso relevanter wird nun das zweite Gutachten, das sich mit der rechtlichen Durchsetzbarkeit von Gegenmaßnahmen beschäftigt. Demnach müssen AKW-Betreiber auch den Schutz gegen Terrorangriffe mit entführten Passagiermaschinen sicherstellen. Gutachter Koch verweist auf das Atomgesetz, denn dort ist der „Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter“ ausdrücklich als Bedingung für eine Genehmigung genannt. Deshalb könnten Betreiber zum Beispiel auch zur Einrichtung eines bewaffneten Werkschutzes verpflichtet werden, wie das Bundesverwaltungsgericht schon 1989 entschied. Gefahren durch Störer von außen „müssen praktisch ausgeschlossen sein“, hieß es im damaligen Urteil.

Möglich sind zur Duchsetzung dieser Betreiberpflicht auch nachträgliche Auflagen, so das Koch-Gutachten – insbesondere wenn neue Gefahren oder Erkenntnisse auftauchen. Zu den bisher unbekannten Gefahren rechnet Koch auch „neue Terrorkonzepte“, die auf eine „ungehemmte eigene Opferbereitschaft“ der Attentäter setzen. Um dem zu begegnen, könnten die Behörden von den Energiekonzernen zum Beispiel die „baulich-technische“ Änderung ihrer AKWs verlangen. Eine Entschädigung würden die Betreiber hierfür nur erhalten, wenn sonst kostenbedingt die Betriebsaufgabe droht. Bei Auflagen mit „zumutbarer wirtschaftlicher Belastung“ soll es dagegen kein Geld vom Staat geben.

Bei einer akuten terroristischen Bedrohung ist laut Koch auch die vorübergehende Stilllegung der AKWs zulässig. Möglich ist dies außerdem, solange die Betreiber angeordnete Sicherheitsauflagen noch nicht umgesetzt haben. Wenn allerdings Auflagen generell nicht genügten, um die AKWs terrorsicher zu machen, hält Koch auch den Widerruf von Betriebsgenehmigungen für möglich – bei „angemessener Entschädigung“, versteht sich.

Und Kochs Wort hat Gewicht. Er ist Vorsitzender des deutschen Sachverständigenrats für Umweltfragen. Das Gutachten wurde in einer der taz vorliegenden Kurzfassung Ende 2002 in der Fachzeitschrift „Deutsche Verwaltungsblätter“ veröffentlicht.

Zuständig für die Erteilung derartiger Auflagen sind die Atombehörden der Länder. Doch kurz nach den Anschlägen von New York und Washington wollte Bundesminister Trittin sicherstellen, dass von diesen Befugnissen auch Gebrauch gemacht wird. Seine parlamentarische Staatssekretärin Simone Probst (Grüne) erklärte damals im Bundestag, notfalls werde der Bund gegenüber den Landesbehörden seine Auffassungen per „Weisung“ durchsetzen.

Bei den AKW-Betreibern klingelten daraufhin die Alarmglocken. Sie brachten umgehend den ebenfalls renommierten, aber atomnahen Bonner Rechtsprofessor Fritz Ossenbühl in Stellung. „Krieg ist kein Thema der Anlagensicherheit“, postulierte Ossenbühl bei einem Vortrag für das Berliner Atomforum. Für Einwirkungen von außen sei nicht die Atomaufsicht zuständig, sondern die Polizei. Denn, so wohl der Hintergrund: der Polizei kann Trittin keine Weisungen erteilen.

Aber Ossenbühls Vorstoß geriet zum Rohrkrepierer, denn fast postwendend meldete sich Horst Sendler zu Wort, der Expräsident des Bundesverwaltungsgerichts: Man solle die Auslegung des Atomgesetzes nicht davon abhängig machen, ob bestimmte Personen (gemeint ist offensichtlich Trittin) „Unheil anrichten könnten“. Selbstverständlich sei die Atomaufsicht auch für den Schutz der AKWs gegen Gewalt von außen zuständig. Das habe sein Gericht schon vor mehr als zehn Jahren festgestellt.