: Ein Ende aus Einsicht
Zuletzt war er zum Wegschauen: Harald Schmidt kreiste schon seit längerer Zeit nur noch umsich selbst. Die jahrelangen Hymnen zeigen nur, wie verstaubt die deutsche Feuilleton-Kultur ist
EIN EINWURF VON JOSEPH VON WESTPHALEN
Wir haben einen neuen Volkstrauertag. Am 8. Dezember im Jahre 2003 des Herrn wurde verkündet, dass die Harald Schmidt Show im nächsten Jahr nicht fortgeführt werde. Grabesstimmung überall. Stars wie namenlose Bundestagsabgeordnete aller Couleur äußerten sich betroffen. Auch die Kulturstaatsministerin. Wenn der Kanzler nicht so in der Klemme wäre, hätte er sicher auch etwas Nettes gesagt.
Zeit-Feuilletonchef Jens Jessen sprach in 3sat „Kulturzeit“ mehrfach von „großem Kummer“, in den Internetforen fragten Verzweifelte, wie sie nun ihre späten Abende gestalten sollen, und in München ist für Donnerstag am Odeonsplatz allen Ernstes eine Demonstration angemeldet.
Jetzt hat es Harald Schmidt schriftlich, was er wert ist. So viele Liebeserklärungen zu Lebzeiten dürften noch keinem Kulturschaffenden nachgerufen worden sein. Wenn alle Suhrkamp-Autoren sich wegen der Veränderungen an der Verlagsspitze und der damit bedrohten „Suhrkamp Kultur“ geschlossen auf unbestimmte Zeit eine Kreativpause verordnen würden – es würde nur ein mattes Kichern durch das Feuilleton gehen. Was ist das nächste Buch von Enzensberger oder Habermas gegen die nächste Sendung von Harald Schmidt.
Hierüber sollte man nicht klagen. Die Intellektuellen haben Schmidt selbst aufgebaut. Und tatsächlich war es damals höchste Zeit für Selbstironie und kulturelle Respektlosigkeit und das raffinierte Prahlen mit der Unbildung. Schmidt machte das charmant und offen, und wenn das selbst von den Kultur-Zynikern beim Spiegel als „böse“ und „zynisch“ begrüßt und bewundert wurde, dann zeigt das nur, wie verstaubt die deutsche Feuilleton-Kultur war und noch immer ist – und wie zickig. Wenn jemand Thomas Mann oder Goethe nicht lesen kann, wird er wenig Bestätigung für seine Aversion finden und um so begeisterter von Schmidts Bekundung sein, dass diese Autoren ungenießbar seien. Schmidts Erfolg bei Intellektuellen beruht darauf, dass er sich nicht um deren selbst auferlegte Tabus schert.
Wenn man jetzt die Stimmen seiner süchtigen Jünger hört, die aus Angst vor dem kommenden Entzug den Messias um Wiederauferstehung anflehen, dann kann man folgern, dass in den vergangenen Jahren einige tausend Kinder nicht gezeugt wurden, weil genügend Paare sich am späten Abend lieber vor dem Fernseher mit Schmidt amüsierten als im Schlafzimmer miteinander.
Lange Jahre war das gelegentliche Harald-Schmidt-Schauen tatsächlich eine Lust. Doch so war die Show leider schon lange nicht mehr, dass man sie gerne zu Ende gesehen oder deswegen auf anderes verzichtet hätte. Seit längerer Zeit schon kreiste sie matter werdend um sich selbst, und gerade wer den Harald Schmidt in Hochform geschätzt hatte und ihm nicht blind ergeben war, musste sich fragen, wie lange das noch gut gehen würde. Die Kluft zwischen seinem Ruf als hyperintelligentem Erzieher der Nation und seinen Albernheiten wurde immer sichtbarer.
Das wirklich Bedauerliche ist, dass durch die jetzigen Solidaritätskundgebungen diese Kluft und die Schwächen der Sendung verwischt und vergessen werden. Natürlich ist das Buch des neuen Sat.1-Chefs Roger Schawinski („Das Ego-Projekt – Lebenslust bis 100“) so jenseitig, dass selbst die misslungensten Sendungen von Schmidt dagegen wie Shakespeare-Stücke wirken. Natürlich kann man keinen Chef ertragen, der solchen Scheißdreck schreibt.
Nur: Wenn man die schlechteren Sendungen nicht sieht, wenn man keinen Gewährsmann braucht, um anerkannte Kulturgrößen zu verspotten, wenn einem Fußball und Prominententratsch egal sind, dann hat man in letzter Zeit nur noch selten Geistreiches bei Harald Schmidt finden können. Nicht der gute Geist geht verloren, sondern sein etwas abgenutzter Firmenvertreter. Wenn nichts nachkommt, lesen wir eben wieder. Heinrich Heines Ironie hat sich nicht verbraucht.
Ende aus Einsicht oder wegen äußeren Drucks? Wie auch immer. Es ist ein Tod nicht mehr in der Blüte, aber gerade noch in Schönheit. Gelungen. Kein deutliches Siechtum. Es war Zeit – und doch schmerzt es ein bisschen. Die Erinnerung ist gerettet. Der Nachruhm gesichert. Die Stelle für populäre Ironie im deutschen Fernsehen ist nun verwaist, wird ihm nachgerufen.
Der Zwang zur permanenten Ironie muss jeden noch so brillanten Menschen auslaugen. Nach acht Jahren kunstvollem Lavieren und Changieren kann man sich nur verlieren. Die fast sämtlich kritiklosen Hymnen zum Ende seiner Show bestätigen Schmidt und werden ihm kaum Grund geben, sich zu besinnen und sich ein bisschen auf die Suche den verlorenem Niveau zu begeben.
Ich habe in letzter Zeit nur noch selten bei Harald Schmidt reingeschaut. Seinen ewigen Helmut Zerlett, seine wohlgelaunt-aufgedrehten Gäste und seine läppischen Spielchen mit Leuten aus dem Publikum konnte ich nicht mehr sehen. In bester Erinnerung habe ich das Nachstellen eines Parteitags, als sich Harald Schmidt zum Vorsitzenden der Harald-Schmidt-Partei wählen und bei seiner Rede Wasser unter die Arme sprühen ließ, um beim sieghaften Hochreißen der Arme diese markanten wahlkämpferischen Schweißflecken vorzeigen zu können.
Die Sendung am Montag, dem Volkstrauerverkündigungstag, hat man sich mit besonderer Spannung angesehen. Sie war schwach. Man ließ sich nichts anmerken. Wenig inspiriert und routiniert. Professionell. Männer zeigen keine Schmerzen. Auf Arte lief ein Film über den Iran im Umbruch, der war sehr viel lohnender.